»Der eindimensionale Mensch« wird in diesem Jahr fünfzig Jahre alt. Thomas Ebermann, Andreas Spechtl und Robert Stadlober haben Herbert Marcuse auf die Bühne gebracht

Eingeklemmt zwischen jungen Kommunisten mit Karl-Marx-Bart, Reformhauskundinnen im selbst gestrickten Sackpullover und Jutta Dittfurth wartet man, dass endlich irgendetwas passiert. Aber es passiert nichts, und weil nichts passiert, macht man sich so seine Gedanken. Und man denkt: Nie lagen Glanz und Elend dieser Jahre, der Jahre der letzten, ja, sagen wir doch: Revolution, die dieses Land gesehen hat (hat jemand 1989/90 gesagt?), so nah beisammen. Und dann, nach einer verschlurft sympathischen Einführung von Thomas Ebermann, der Leben und Schaffen Herbert Marcuses vorstellt, kommen zwei schöne junge Männer auf die Bühne und entfachen ein Feuerwerk aus Marxismus, Krach und Zärtlichkeit, dass es einen nur so umhaut. Weiterlesen

störung im betriebsablaufEs ist schon verhext: Hunderte Male steigt man in den Zug, fährt von A nach B, liest dazwischen ein gutes Buch und steigt wieder aus. Und dann liegt auf einmal alles lahm, Bahnhöfe erinnern an Flüchtlingslager in der dritten Welt und alle schimpfen, mit unterschiedlichen Sündenböcken, vor sich hin. Als wäre das alles vorauszusehen gewesen, erschien kurz vor der Buchmesse ein kleines, auf den ersten Blick unscheinbares Büchlein im Wagenbach-Verlag. „Störung im Betriebslauf“ steht in nüchternen, schwarzen Lettern auf dem himmelblauen Cover, das mehr an einen S-Bahn-Fahrplan erinnert als an ein literarisches Produkt, und doch verbirgt sich hinter der schlichten Aufmachung eine der besten Ideen des Jahres. Weiterlesen

Der Roman „The Circle“ von Dave Eggers, nun auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, zeichnet eine dystopische Zukunft unseres digitalen Zeitalters. »The Circle« ist Eggers wütender Aufschrei gegen das blinde Vertrauen in den technischen Fortschritt. Eine Warnung vor einem Google-Facebook-Amazon-Monopol, das womöglich einen zu hohen Preis für ein komfortableres Leben fordert. Ein Aufruf, damit wir uns jetzt empören, bevor der digitale Kreis uns endgültig umschließt.

»Privatsphäre ist Diebstahl« ist eines der Dogmen des Super-Konzerns The Circle, geleitet von drei Mächten: Dem verborgenen IT-Crack, dem erfolgsorientierten Manager und dem sympathischen Gesicht der Firma. Einem Dreieck der Macht, das alle Feinde aus dem Weg räumt und unerbittlich ein Ziel verfolgt: Die Vervollständigung des Kreises und damit die Korrosion aller politischen, wirtschaftlichen und privaten Geheimnisse. Dabei ganz von dem Glauben besessen, dass nur unter Beobachtung der Mensch sich von seiner besten Seite zeige. Weiterlesen

PILEr hat – obwohl millionenfach verkauft – eine schwierige Position im deutschen Buchmarkt, seine Thematik wird gleichermaßen extrem abgelehnt wie frenetisch verteidigt. Die Rede ist nicht etwa von Günther Grass, sondern vom Manga, eben jenem Genre, das seit ungefähr zwei Jahrzehnten auch in Deutschland einen kometenhaften Aufstieg erfuhr.
Obgleich der am stärksten wachsende Sektor des deutschen Buchmarktes wird den japanischen Comic-Büchern von Nicht-Otakus (Otaku: japanische Bezeichnung für Hardcore-Fans) immer noch kaum Beachtung geschenkt, von Meilensteinen wie „Barfuß durch Hiroshima“ oder „Akira“ einmal abgesehen. Auf der Gegenseite scheint sich die Hauptzielgruppe des Mangas auch weniger für andere Literatur oder sonstige Popkultur zu interessieren, ein Phänomen, das man jedes Jahr auf den Buchmessen beobachten kann. Immer wieder werden Versuche unternommen, die beiden Welten zu verbinden, nun erscheint im Carlsen-Verlag ein Buch, dass die Karten neu verteilen könnte. Weiterlesen

Aus der Sparte first world problems: Es ist noch nicht lange her, da war zu lesen, dass die ehemals coolste und hippste Stadt Deutschlands, Europas, wenn nicht gar der ganzen Welt, ihre Coolness und Hippness verloren habe. Wo früher David Bowie und Iggy Pop das Nachtleben unsicher machten, wo der Underground florierte und neue Trends und Moden entstanden, wo Rave und Techno ihre größten Erfolge feierten, habe sich eine arrogante und überhebliche Selbstgefälligkeit breitgemacht. Im Gefühl der eigenen Überlegenheit blicke der Berliner heute voll Abscheu hinab auf die durch Bars und Clubs pilgernden Touristenhorden, während ein Bezirk nach dem nächsten gehörig durchgentrifiziert werde und die Stadt nach und nach noch den letzten Rest an Charakter und Charme verliere. Am Ende einer Debatte, die, ausgelöst durch einen Beitrag im amerikanischen »Rolling Stone« und befeuert vom Internet-Portal »Gawker«, vor allem in den deutschen Medien geführt wurde, kamen selbst manche Berliner nicht umhin einzugestehen: Berlin is over. Weiterlesen

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Als am 28. Juni 1914 der Erzherzog und österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo von serbischen Attentätern erschossen wurde, befand sich Europa in einem wirren Geflecht aus hegemonialen Interessen, ideologischen Treueversprechungen und nationalistischer Verblendung. Dennoch sah es vorerst nicht danach aus, als würde dieses Ereignis zu einem Krieg führen, die Staatsoberhäupter versuchten, den überkochenden Zorn in der öffentlichen Meinung zu besänftigen, Großbritannien unternahm insgesamt sieben Vermittlungsversuche und die Zweite Internationale tagte weiterhin, um den sozialistischen Zusammenhalt gegen die nationalen Differenzen zu demonstrieren. Innerhalb eines Monats wandelte sich diese Atmosphäre eines gefährdeten Friedens hin zu einer blinden Zerstörungswut, die den ganzen Kontinent in Dunkelheit stürzen sollte. „In ganz Europa gehen die Lichter aus,“ äußert sich der britische Außenminister Edward Grey während der Julikrise zu einem Freund, „wir alle werden sie in unserem Leben nie wieder leuchten sehen.“ Weiterlesen

Schon klar, ist ja Fußball-WM. Da liest man wenig/kaum/nicht.
Was natürlich Quatsch ist, weil in wenigen Tagen die Meisterschaft im Wettlesen am Wörthersee ausgetragen wird, und die will vorbereitet sein.
Wir haben unsere Ländereien in diesem Jahr voll und ganz auf Senthuran Varatharajah und Karen Köhler gesetzt. In der Hoffnung auf ein Königreich.
Los geht’s am Donnerstag, 03. Juli, von 10 Uhr an.
(Unsere Vuvuzelas stehen parat.)

Am frühen Morgen taucht eine Nachrichtenmeldung auf,die ironischer nicht sein könnte.Hansruedi (HR) Giger, der Erfinder des »Aliens«, der Zeit seines Lebens Abneigung und Ängste gegenüber Treppen und ähnlichen Angelegenheiten hatte, erliegt den Folgen der Verletzungen, die er sich bei einem Sturz zugezogen hat. Weiterlesen

Egan_Black_BoxEs gibt keine Namen. Kein ich. Kein er und kein sie. Nur ein du, und an wenigen Stellen ein ominöses wir. Wir, das ist offenbar ein Geheimdienst, der dich, eine namenlose junge Frau, auf deine Mission fürs Vaterland geschickt hat. Unerkannt sollst du dich einem Gangster nähern, sein Vertrauen gewinnen, mit ihm schlafen − und Informationen beschaffen.Dabei fungiert dein Körper nicht nur als Verführungsinstrument, sondern auch als eine Art menschliche Black Box. Ausgestattet mit Kamera und Schnittstelle speichert er, was du siehst und ermöglicht dir fremde Datenquellen anzuzapfen. Der Geheimdienst kann diese Informationen später verwerten. Vorausgesetzt, dein Körper schafft es zurück. Tot oder lebendig. Weiterlesen

Um sämtliche Missverständnisse gleich zu Beginn aus dem Weg zu räumen: Das kürzlich im Rowohlt-Verlag erschienene »Morphin« ist keineswegs die Fortsetzung von M. Agejews »Roman mit Kokain«. Vielmehr handelt es sich bei Szczepan Twardoch um einen Autor der Gegenwart, der die Handlung seines Erstlings ins Warschau am Ende der 30er Jahre versetzt, der goldenen Ära des Morphins. Protagonist Konstanty Willemann, von seinen Freunden kurz Kostek geheißen, erwacht eines Morgens, verkatert und hungrig, die Deutschen haben Polen gerade überrannt und für einen Reserveoffizier wie Kostek gibt es kaum etwas zu tun. Also besucht er die Cafés, in denen die geschlagenen Generäle und Majore schon über den Befreiungskrieg fachsimpeln, sieht sich die jüdische Oberschicht an, die mit bereits gepackten Koffern versucht, letzte Wertgegenstände gegen Bares einzutauschen und wandert die Straßen des zerstörten, »vergewaltigten« Warschaus hinunter. Weiterlesen

In der Schule wurde »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque gelesen und wir wunderten uns: Wieso zogen unsere Urgroßväter einst freiwillig in den Krieg? Mein Großvater wusste die Antwort, doch statt sie zu sagen, mir von seinem eigenen Vater zu erzählen, drückte er mir ein Buch in die Hand: »In Stahlgewittern« von Ernst Jünger. Weiterlesen