produkt-2625Elvis Costello war nie sehr bekannt in Deutschland. Er hatte mit seiner ersten Begleitband, den Attractions, zwar mal einen Auftritt bei der Kultsendung Rockpalast absolviert (ein hitziger, übereilter, von zügelloser Aggression gezeichneter Gig, den man heute noch online findet), und er kommt sogar auf das eine oder andere Livekonzert rüber, dafür allein, ohne seine diversen Bands, wie die Impostors oder die Sugarcanes oder die neu erworbenen Roots. Ich hab ihn letztes Jahr in meiner Stadt erleben dürfen, von der er scherzhaft behauptete, sie wäre die »sex capital of the world«. Er spielte alte Hits, aber auch unbekanntere Nummern, wunderte sich, dass die Wenigen, die da waren (die Halle war halbleer oder halbvoll, je nachdem…), total begeistert waren, fühlte sich immer wohler, spielte weiter, holte seine Vorband Larkin Poe für ein fulminantes gemeinsames Set auf die Bühne, spielte wieder allein, holte die Band noch einmal zurück, wunderte sich wieder, warum die Leute immer noch da waren, und schloss den Auftritt mit ein paar großartigen Songs ab. Zweieinhalb Stunden ging das Ganze. Was für ein Abend. Man kennt ihn also doch.

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Zeit zu Träumen. Karl Ove Knausgård erhält die Zulassung, in Bergen per Akademiestudium Schriftsteller zu werden. Der Wunsch, ein Leben als Künstler zu führen scheint greifbar. Doch die Euphorie, einer der Auserwählten zu sein, kehrt sich rasch in Ernüchterung um. Talent alleine will nicht ausreichen, um die Kommilitonen, die Lehrenden und sich selbst zu überzeugen.

»Träumen« knüpft nahezu nahtlos an den Vorgänger »Leben« an. Karl Oves Suche nach sich, nach einer Zukunft und überhaupt einer Idee, führt ihn in die trostlose Welt der Versagensängste, des verführerischen Alokohols und der Depression. Und dann doch die Erkenntnis, dass Träume nicht immer nur Traum bleiben müssen.

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4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 4 »Leben«.


In »Spielen« war Karl Ove Knausgård in seine Kindheit zurückgekehrt. Nach »Sterben« und »Lieben« folgte also eine gewaltiger Schritt zurück in der Lebenschronik des Autors. »Leben«, der vierte Band von sechs, mag der vielleicht unterhaltsamste der veröffentlichten sein. Die Bezeichnung Coming-of-Age-Roman kommt »Leben« am nächsten.

Karl Ove reist gerade volljährig nach Nordnorwegen. Hier soll er als Aushilfslehrer ohne pädagogische Vorkenntnisse unterrichten. Aber viel wichtiger: Die erste eigene Wohnung, eigenes Geld und keine Überwachung durch den Vater. Was folgt ist ein Exzess aus Trinkgelagen, Kopulationsversuchen und der ersten Annäherung an den Traum, Schriftsteller zu werden.

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4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 3 »Spielen«.


Nach dem international erfolgreichen Band 1 »Sterben« folgte in einem zweiten, sehr umfangreichen Band »Lieben« aus Karl Ove Knausgårds Roman-Projekt in deutscher Übersetzung. Mit »Spielen«, dem dritten und weniger umfangreichen Band, beginnt nun eine Reise, die Karl Ove in die Kindheit zurückführen wird.

Eine Zeit, die sich in die Seele des Autors eingebrannt hat. Eine von Ängsten besetzte Zeit, in der Augen und Ohren des Vaters überall zu wachen scheinen. Hier steht die Furcht auf der Tagesordnung. Die Furcht etwas falsch zu machen, nicht genügen zu können –  »Spielen« ist die psychologische Bestandsaufnahme eines Kindes zwischen Leichtigkeit und Schwermut.

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Buch_Buchtitel_Bericht aus dem Inneren»Bericht aus dem Inneren« ist eine Expedition für Autor und Leser in eine ekstatische Vergangenheit. Das Werk ist 2014 im rowohlt-Verlag in Übersetzung von Werner Schmitz erschienen.

Ich lebe in der Gegenwart und in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Mein Freund Coetzee hat mal gesagt: Unsere Bücher sind vollgepackte Koffer, die wir am Straßenrand stehen lassen, während wir weiterreisen.

Es ist wohl der fünfte Roman, welchen man Memoiren oder – wie Herr Auster bevorzugt – autobiographische Schrift nennen könnte. Dabei ist das Werk das Pendant zum vorangegangen Werk »Winterjournal«, innerhalb dessen Auster über seinen äußerlichen Körper expressiv Schläge und Freuden des physischen Ichs wiederbelebt. »Bericht aus dem Inneren« ist nun die impressionistische Mobilisierung von inneren Kindheits- und Jugenderinnerungen. Weiterlesen

Literaturkritiker Denis Scheck brachte auf der Frankfurter Buchmesse auf den Punkt, was alle dachten: »Die Welt geht unter, im Suhrkamp Verlag erscheint eine Graphic Novel!« Nun hat sich die Welt seitdem glücklicherweise doch noch etwas weitergedreht, sodass wir die Zeit fanden, uns jenes Werk einmal genauer anzusehen. Bei dieser wellenschlagenden Graphic Novel handelt es sich um »Kiesgrubennacht«, die Autobiographie  von Volker Reiche. Dieser sollte den meisten noch für seine Comic-Strip-Reihe »Strizz« in der FAZ bekannt sein, in welcher der gleichnamige Büroangestellte seinen Vorgesetzten mit ausgeflippten Ideen immer wieder auf die Palme bringt. »Kiesgrubennacht« ähnelt der Reihe auf den ersten Blick sehr, vor allem der Zeichenstil ist nahezu derselbe. Weiterlesen

Klaus Kordon (Foto: Wikipedia)

Klaus Kordons Roman »Das Karussell« ist nach einem einfachen Kinderspielzeug benannt. Aber halt. Ist es das wirklich? Ein einfaches Kinderspielzeug? Steht ein »Karussell« nicht für viel mehr? Ist es nicht eher ein Gegenstand, der uns an die Unbeschwertheit, an die Leichtigkeit der Kindheit zurückdenken lässt? Für Kordon hat mit diesem Karussell angefangen, wovon er in seinem neuen Roman (nach »Das Krokodil« und »Auf der Sonnenseite« sein dritter autobiographischer Roman) schreibt. Als Kind fand er es beim Stöbern in einer alten, verschlossenen Kommode:

[…] zwischen allerlei Krimskrams wie alten Papiertüten, Watteresten und Kerzenstummeln stand ein kleines, bunt angemaltes, blechernes Karussell. Es war sehr verstaubt und an manchen Stellen war bereits der Lack abgeplatzt.

Verständlicherweise wundert es ihn, zwischen all dem anderen Gerümpel ein Kinderspielzeug zu finden, das er nie zuvor gesehen hat. Seine Mutter sagt ihm schließlich, dass das Karussell seinem Vater, der Soldat im Zweiten Weltkrieg war und an der Ostfront verschollen ist, gehört hat. Sie verspricht ihm alles zu erzählen, was sie vom Vater weiß – und Kordon erzählt es uns. »Das Karussell« ist die Geschichte von seinen Eltern, von Herbert Lenz und Lisa Gerber.

Zunächst sind es aber zwei Geschichten: Da ist die Geschichte von Herbert, genannt Bertie, der in einem Berliner  Waisenhaus lebt und zwar eine Mutter hat, aber ohne sie aufwachsen muss. Alles was ihm von ihr bleibt sind mal mehr, mal weniger regelmäßige Besuche im Waisenhaus. Ihn quält in seiner Kindheit vor allem die Frage, warum seine Mutter ihn abgegeben hat und – besonders nachdem sie geheiratet hat, schließlich sogar ein zweites Kind bekommt – nicht zu sich nimmt. Erst Jahre später, Bertie ist inzwischen erwachsen, wird ihm klar, was er schon als Kind geahnt hat:

Er wich zurück. Der Blick, mit dem sie ihn ansah! Ein Blick, der sie endgültig verriet. Sie warf ihm vor, dass es ihn gab! Er, ihr Sohn, hatte sie ins Unglück gestürzt.

Von diesem Augenblick an, ist seine Mutter für ihn nicht mehr existent – späte Annäherungsversuche ihrerseits weist er zurück.

Und da ist die Geschichte von Lisa Gerber, die zusammen mit drei jüngeren Geschwistern eine geborgene Kindheit im Harz erlebt bis der Vater im Ersten Weltkrieg ums Leben kommt. Lotte Gerber, die Mutter, erinnert sich an die Worte des Vaters (»Bier geht immer«) als sie beschließt, einen Neuanfang zu wagen: Ihr Weg führt sie und ihre Kinder von Thale über Zerbst, wo sie drei Jahre lang erfolgreich eine Gastwirtschaft führt, nach Berlin. Hier werden die beiden Erzählstränge miteinander verknüpft, denn Lisa, mittlerweile Anfang 30 und selbst Wirtin in einem Lokal im Prenzlauer Berg, lernt den Maurergesellen Bertie kennen, der bei ihr sein Feierabendbier trinkt. Sie verlieben sich ineinander, doch ihr Glück währt nicht lange, der Zweite Weltkrieg hat bereits begonnen.

In einem Fernseh-Interview erzählt Klaus Kordon, dass er erst recherchieren musste, um diesen Roman zu schreiben. Ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass er darin die eigene Familiengeschichte erzählt, aber verständlich, wenn man diese Geschichte dann kennt. So hat er in der Charité die Geburtsurkunde des Vaters gefunden, der 1908 von einem 16 Jahre alten, ledigen Dienstmädchen zur Welt gebracht worden ist. Und in der Deutschen Dienststelle die Karteikarte, die Auskunft über den Wehrmachtssoldat Herbert Kordon (im Roman »Lenz«) gibt, etwa welche Feldpostnummer er hatte, in welchem Zeitraum er im Lazarett oder auf Fronturlaub war. Nur wie und wo sein Vater gestorben ist, das hat er auch hier nicht erfahren.

Im Interview verrät er einen weiteren Grund, warum sein Roman »Das Karussell« heißt: Ein Karussell drehe sich im Kreis, so Kordon, alles wiederhole sich und auch in seiner Familie haben sich viele Schicksale wiederholt: So habe sich seine Mutter beispielsweise gefragt, ob – nachdem ihr Vater und ihr Mann im Krieg gefallen sind – auch ihre Söhne einem Krieg zum Opfer fallen würden. Und nicht nur Kordons Vater hat viele Jahre im Waisenhaus verbracht, auch Kordon selbst lebte nach dem frühen Tod der Mutter fünf Jahre erst in einem Kinder-, später dann Jugendheim. Sogar seine eigenen Kinder mussten 1972 nach einem missglückten Fluchtversuch aus der DDR zwei Jahre in einem Heim leben, bevor sie zu den Eltern, die vom Westen freigekauft worden waren, zurückkehren durften.

Dass sein Vater so viel Unrecht und soviel Pech in seinem Leben gehabt hat, habe ihn schon als Kind beschäftigt. Mit diesem Roman sagt er, habe er ihm vielleicht ein Denkmal setzen wollen, wollte, dass seine Geschichte nicht vergessen wird. Es ist ihm gelungen.

Klaus Kordon: Das Karussell. Beltz & Gelberg: Weinheim u.a. 2012.

Klaus Kordon im Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg