Was hat uns in 2015 begeistert, berührt oder verstört? Was hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen? Eine kleine Auswahl – subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Weiterlesen
Was hat uns in 2015 begeistert, berührt oder verstört? Was hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen? Eine kleine Auswahl – subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Weiterlesen
Elvis Costello war nie sehr bekannt in Deutschland. Er hatte mit seiner ersten Begleitband, den Attractions, zwar mal einen Auftritt bei der Kultsendung Rockpalast absolviert (ein hitziger, übereilter, von zügelloser Aggression gezeichneter Gig, den man heute noch online findet), und er kommt sogar auf das eine oder andere Livekonzert rüber, dafür allein, ohne seine diversen Bands, wie die Impostors oder die Sugarcanes oder die neu erworbenen Roots. Ich hab ihn letztes Jahr in meiner Stadt erleben dürfen, von der er scherzhaft behauptete, sie wäre die »sex capital of the world«. Er spielte alte Hits, aber auch unbekanntere Nummern, wunderte sich, dass die Wenigen, die da waren (die Halle war halbleer oder halbvoll, je nachdem…), total begeistert waren, fühlte sich immer wohler, spielte weiter, holte seine Vorband Larkin Poe für ein fulminantes gemeinsames Set auf die Bühne, spielte wieder allein, holte die Band noch einmal zurück, wunderte sich wieder, warum die Leute immer noch da waren, und schloss den Auftritt mit ein paar großartigen Songs ab. Zweieinhalb Stunden ging das Ganze. Was für ein Abend. Man kennt ihn also doch.
Wenn der Carlsen Verlag mal gerade nicht versucht, graphische Liebhaberprojekte via Crowdfunding zu finanzieren, die dann leider mangels Beteiligung der Fanbase scheitern, wird stets daran gearbeitet, die Lücke zwischen der westlichen Graphic Novel und dem (fern)östlichem Manga zu schließen. Bereits im letzten Jahr gab es mit PIL ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Bemühungen zu bewundern, dieses Jahr wurde auf der Frankfurter Buchmesse nachgelegt: »Wet Moon« heißt der ebenso ambitionierte wie kunstfertige Band des in Deutschland bisher eher unbekannten Manga-Künstlers Atsushi Kaneko und bereits auf den ersten Seiten offenbart sich der Facettenreichtum des Werks: Der zu diesem Zeitpunkt noch namenlose Protagonist jagt in bester Noir-Manier einer Frau im roten Trenchcoat durch die engen Gassen eines japanischen Badeorts hinterher, bis er mit einem Mal die Hände vor das Gesicht schlägt und wie vom Donner gerührt stehen bleibt. Vor ihm hängt in gewaltiger Größe der Mond, der eine exakte Entsprechung des Mondes aus Georges Méliès‘ »Voyage dans la lune« ist, inklusive der Rakete, die in seinem linken Auge steckt.
Marcel Reich-Ranicki ist tot. Das ist er zwar schon länger, aber die Leerstelle, die er hinterlassen hat, wartet noch immer schmerzend auf einen Nachfolger. Und während das Literarische Quartett in der ersten Sitzung der Neubesetzung dem kurz zuvor verstorbenen Helmut Karasek gedachte und Maxim Biller sich Mühe gab, der neue Reich-Ranicki zu werden, scheint der gegen seinen Willen zum »Literaturpapst« gekrönte Verstorbene langsam in Vergessenheit zu geraten. Nur gut, dass es die Deutsche Verlags-Anstalt gibt. Die veröffentlichte diesen Herbst nämlich einen neuen Band mit zahlreichen Essays Reich-Ranickis, quasi ein Memorium. »Meine deutsche Literatur seit 1945« heißt der von Thomas Anz herausgegebene Sammelband und schließt somit nahtlos an den Vorgänger »Meine Geschichte der deutschen Literatur. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart« an.
Als Vorbote des jüngsten Gerichts kommt der personifizierte Tod in der Offenbarung des Johannes auf einem fahlen Pferd dahergeritten. Hinter dem vierten Reiter der Apokalypse öffnet die Hölle ihre Pforten. Gäbe es einen treffenderen Titel für solch einen monströsen Roman? Einen Roman, in dessen Mittelpunkt nicht nur das Treiben eines umtriebigen Todesboten steht, sondern dessen Verfasser selbst anderen den Tod brachte? Im Wissen um das Leben Boris Sawinkows, der sich in der Zeit nach der Jahrhundertwende der Sozialrevolutionären Bewegung anschloss und unter anderem an der Ermordung des russischen Innenministers Wjatscheslaw von Plehwe sowie an dem durch Iwan Kaljajew verübten Attentats auf den Großfürsten Sergei Romanow, Sohn des schon 1881 von der Untergrundorganisation Narodnaja Wolja (deutsch: »Volkswille«) getöteten Zaren Alexander II., beteiligt war, ist man dazu verführt, die in knappen Tagebucheinträgen geschilderten Vorgänge als literarisch stilisierten Tatsachenbericht zu lesen, der begleitet wird von Überlegungen zum Ziel und zur Notwendigkeit revolutionärer Gewalt. Weiterlesen
Frank Witzel, Buchpreisträger und Autor des alle Rahmen sprengenden Romans »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969«, hat uns vor seiner Lesung im Frankfurter Hof in Mainz zu einem kurzen Gespräch getroffen – über amerikanische Pop, den Wahn der Gesellschaft und natürlich auch seine schriftstellerischen Zukunftspläne.
Schon wieder ein Buch über die Wirtschaftskrise? Schon wieder ein Buch über unsere Ohnmacht gegenüber dem willkürlichen Fingerschnippen des Leviathans Finanzwesen? Schon wieder ein Buch über raffgierige Banker? Zumindest letzteres ist Joris Luyendijks Buch nicht.
Der niederländische Journalist hat im Auftrag des Guardian mit über 200 Insidern aus der Londoner City gesprochen, sie zu ihrem Beruf, ihrem Privatleben, ihren Moralvorstellungen befragt und dabei viele impressionistische Skizzen geliefert, einzelne Schicksale geschildert, dabei immer auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner, der allen diesen unterschiedlichen Menschen gemein ist. Gemeint ist die inhärente Struktur und Logik des Finanz- und Bankensektors oder wie Luyendijk es nennt: »die DNA«.
Das in Amerika mittlerweile zu einem regelrechten Hype gewordene Crowdfunding-Prinzip
schlägt mittlerweile auch in Deutschland Wellen, wenn auch noch recht bescheidene. Immerhin schaffte es die Produktion des Stromberg-Kinofilms innerhalb kürzester Zeit eine Millionen Euro einzusammeln, wohingegen kleinere Filmemacher mit ihren Projekten nur zu oft zu kurz kommen. Auch in anderen Sparten der Medienwelt, beispielsweise im Video- und Brettspiel-Bereich, erfreuen sich die deutschen Pendants der Firma Kickstarter reger Beliebtheit. Nur in einer nicht.
Zeit zu Träumen. Karl Ove Knausgård erhält die Zulassung, in Bergen per Akademiestudium Schriftsteller zu werden. Der Wunsch, ein Leben als Künstler zu führen scheint greifbar. Doch die Euphorie, einer der Auserwählten zu sein, kehrt sich rasch in Ernüchterung um. Talent alleine will nicht ausreichen, um die Kommilitonen, die Lehrenden und sich selbst zu überzeugen.
»Träumen« knüpft nahezu nahtlos an den Vorgänger »Leben« an. Karl Oves Suche nach sich, nach einer Zukunft und überhaupt einer Idee, führt ihn in die trostlose Welt der Versagensängste, des verführerischen Alokohols und der Depression. Und dann doch die Erkenntnis, dass Träume nicht immer nur Traum bleiben müssen.
4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 4 »Leben«.
In »Spielen« war Karl Ove Knausgård in seine Kindheit zurückgekehrt. Nach »Sterben« und »Lieben« folgte also eine gewaltiger Schritt zurück in der Lebenschronik des Autors. »Leben«, der vierte Band von sechs, mag der vielleicht unterhaltsamste der veröffentlichten sein. Die Bezeichnung Coming-of-Age-Roman kommt »Leben« am nächsten.
Karl Ove reist gerade volljährig nach Nordnorwegen. Hier soll er als Aushilfslehrer ohne pädagogische Vorkenntnisse unterrichten. Aber viel wichtiger: Die erste eigene Wohnung, eigenes Geld und keine Überwachung durch den Vater. Was folgt ist ein Exzess aus Trinkgelagen, Kopulationsversuchen und der ersten Annäherung an den Traum, Schriftsteller zu werden.
4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 3 »Spielen«.
Nach dem international erfolgreichen Band 1 »Sterben« folgte in einem zweiten, sehr umfangreichen Band »Lieben« aus Karl Ove Knausgårds Roman-Projekt in deutscher Übersetzung. Mit »Spielen«, dem dritten und weniger umfangreichen Band, beginnt nun eine Reise, die Karl Ove in die Kindheit zurückführen wird.
Eine Zeit, die sich in die Seele des Autors eingebrannt hat. Eine von Ängsten besetzte Zeit, in der Augen und Ohren des Vaters überall zu wachen scheinen. Hier steht die Furcht auf der Tagesordnung. Die Furcht etwas falsch zu machen, nicht genügen zu können – »Spielen« ist die psychologische Bestandsaufnahme eines Kindes zwischen Leichtigkeit und Schwermut.
4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 2 »Lieben«.
Der erste Band »Sterben« erzählte von Knausgårds Vater und einer missglückten Beziehung zwischen Vater und Sohn. Und dieses Thema wird wiederkehren, in allen Bänden. Knausgårds Vater personifizert das Trauma, das seinen Sohn begleiten wird. Es ist die Vaterfigur, die es versteht, Karl Ove aus dem Jenseits zu dirigieren.
Aber im zweiten Band »Lieben« präsentiert sich nun ein bisher unbekannter Karl Ove. Jetzt ist er selbst Vater geworden. Es werden Windeln gewechselt, Ausflüge unternommen und Kinder-geburtstage besucht. Ein Leben in Mietwoh-nungen, mit Kindergeschrei, Ehekrisen und Selbstzweifeln steht an – Knausgård setzt seinen biographischen Rückblick unbekümmert fort. Weiterlesen