Am frühen Morgen taucht eine Nachrichtenmeldung auf,die ironischer nicht sein könnte.Hansruedi (HR) Giger, der Erfinder des »Aliens«, der Zeit seines Lebens Abneigung und Ängste gegenüber Treppen und ähnlichen Angelegenheiten hatte, erliegt den Folgen der Verletzungen, die er sich bei einem Sturz zugezogen hat.
Doch so befremdlich die Umstände auch sein mögen, so groß ist der Verlust für die Kunst: Giger galt seit den 70er Jahren als der Meister des Obskuren und der Dunkelheit, seine Kunstwerke inspirierten Filme und andere Medien gleichermaßen. So erschien im Frühling des Jahres im in der Schweiz ansässigen Nachtschatten-Verlag ein Buchband mit dem vielversprechenden Titel »HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century«. Sowohl als Giger-Fan als auch als Anhänger der Psychoanalyse gilt es hier zuzugreifen, denn diese beiden Komponenten mischen sich zu gleichen Anteilen zu einer fantastischen Emulsion des Grauens. Autor ist der Psychiater Stanislav Grof, der zahlreiche Gespräche mit dem Zeichner führte, unter anderem auch im Rahmen von Therapien und meditativen Sitzungen.

Es ist also ein Buch über HR Gigers Psyche, doch es ist auch ein Schlüssel zu seiner Kunst. Deswegen bleibt das Werk keine trockene, theoretische Abhandlung, sondern man erhält alle 50 Seiten zusätzlich einen Einblick in die wichtigsten Werke des düsteren Schweizers. Die Technik der Querverweise zwischen Text und Bild funktioniert einwandfrei, man kann nach Belieben zu dem gewünschten Abschnitt blättern und mit derselben Leichtigkeit wieder in den Text finden. Die Entscheidung, das Buch zweisprachig aufzuziehen – der deutsche Text befindet sich links und der englische rechts – ist eine mutige Entscheidung, die allerdings in editorische Probleme mündet: Da der englische Satzbau in den meisten Fällen etwas kürzer ausfällt als der deutsche, verschiebt sich das Gleichgewicht der Seiten immer weiter, bis man plötzlich gegenüber der deutschen Seite 24 plötzlich die englische Entsprechung der Seite 26 vorfindet. Doch das sind Detailfragen, das Wesentliche – der Inhalt – wird sowohl im Englischen als auch im Deutschen – gut vermittelt.

Es die Geschichte HR Gigers, eine Biographie, jedoch keine chronologische sondern episodische. Nach und nach werden die verschiedenen Werke und Zyklen (darunter auch die beiden wohl alptraumhaftesten »Biomechanoid« und »Landscape«) gedeutet und anhand von Prinzipien der Psychoanalyse und Tiefenpsychologie erklärt. Dabei wird ein buntes Varieté an Quellen herangezogen, altgediente Klassiker wie Freud und Jung finden ebenso ihren Platz wie modernere Ansätze, die zum (nicht unerheblichen) Teil auch von Grof selbst stammen. Manche Phänomene werden auf diese Weise »klassisch« belegt, beispielsweise mit dem angeborenen Trauma der Geburt, andere Sachverhalte werden hingegen mit Gigers eigener Psyche und seinem Privatleben erläutert. So hatte er – wie eingangs bereits erwähnt – Angst vor Treppen, Lüftungsschächten und anderen klaustrophobischen Räumen, was unter anderem seinen Zyklus »Shaft« (zu deutsch: Schacht) inspirierte. Zum Teil werden in diesen Abschnitten auch Träume und Visionen geschildert, die Giger erlitt, wobei man sich immer wieder bewundernd fragen muss, wie es der stille Künstler mit so viel Dunkelheit überhaupt gemeistert hat, nicht verrückt zu werden. Interessant ist jedoch, dass einem Hansruedi Giger nach abgeschlossener Lektüre (noch) sympathischer ist als zuvor, mehr noch, man scheint seine Antriebskraft, die jahrelang ein Mysterium geblieben ist, endlich verstanden zu haben. Für Einsteiger in die wunderbaren Welten des HR Giger und/oder der Psychoanalyse ist »HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century« dennoch nicht unbedingt die erste Wahl, es empfiehlt sich, zumindest in einem der beiden Gebiete ein gewisses Vorwissen mitzubringen, da ansonsten zu viel Feuerwerk auf einmal auf die Synapsen prasselt.

Es ist ein sehr spezielles Buch, auf jeden Fall, aber ein sehr liebevoll gestaltetes Werk und ein würdiger Epitaph für den Zeichner, der das 20. Jahrhundert vermutlich besser erkannt hat, als die meisten.

Stanislav Grof: »HR Giger and the Zeitgeist of the Twentieth Century«. Nachtschatten Verlag: Solothurn 2014.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.