Zeit zu Träumen. Karl Ove Knausgård erhält die Zulassung, in Bergen per Akademiestudium Schriftsteller zu werden. Der Wunsch, ein Leben als Künstler zu führen scheint greifbar. Doch die Euphorie, einer der Auserwählten zu sein, kehrt sich rasch in Ernüchterung um. Talent alleine will nicht ausreichen, um die Kommilitonen, die Lehrenden und sich selbst zu überzeugen.

»Träumen« knüpft nahezu nahtlos an den Vorgänger »Leben« an. Karl Oves Suche nach sich, nach einer Zukunft und überhaupt einer Idee, führt ihn in die trostlose Welt der Versagensängste, des verführerischen Alokohols und der Depression. Und dann doch die Erkenntnis, dass Träume nicht immer nur Traum bleiben müssen.

Fast alle wichtigen deutschen sowie europäischen Magazine haben Karl Ove Knausgård mittlerweile im Norden Europas besucht. An ihm kommt kein Feuilleton, keine Kultur-Redaktion vorbei. Keiner der großen Schriftsteller war in den vergangenen Jahren so faszinierend, keiner ließ sich zugleich so gut vermarkten. Keiner war so offenherzig, obwohl er sich selbst doch als so scheu in Szene schreibt. Zuletzt machte sich der Spiegel auf den Weg. Der SRF war schon vor gut einem Jahr bei Knausgård und drehte einen Beitrag bei ihm zuhause.

Was aus jedem Artikel oder Beitrag hervorgeht ist die Aussage, es sei dem Redakteur vor Ort seltsam zumute, weil das Gefühl aufkäme, man wisse doch schon alles von Knausgård. Man habe doch schon alles über ihn lesen können. Die Kinder, die Ehefrau, über ihn selbst. Man wisse alles. Was aber einen Mann fragen, über den man sowieso glaubt, alles zu wissen?

Interessant, dass sich Knausgård dennoch immer wieder dazu bereit erklärt, deutsche Journalisten vom Bahnhof abzuholen und den Fragen zu antworten, die ihm schon 2012 gestellt wurden. Knausgård vor dem Mikrofonstrauß auf der Buchmesse, man möge es sich kaum vorstellen. Wenn alles gesagt ist, was bleibt dann über?

Eine Idee, weshalb Knausgård seine mediale Präsenz dauerhaft unterhält findet sich in »Träumen« – sie ist nicht zu übersehen. Der Kampf um seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, scheint der bisher schwierigste seiner zahlreichen Kämpfe zu sein. Nahezu alle seine Freunde und Bekannte aus der norwegischen Literaturszene scheinen mühelos eine Veröffentlichung fertigzubringen, nur Karl Ove, der müht sich, quält sich, verzweifelt an sich selbst.

Kurzgeschichten finden keinen Platz in Anthologien, die Lehrenden auf der Akademie sind ebenso wenig begeistert von seinem Schaffen. Aufzugeben scheint naheliegend. Die Zweifel und beträchtlichen Niederlagen ertränkt Karl Ove wie schon in »Leben« in beachtlichen Mengen Alkohol. Er leiht sich Geld von seinem Bruder, ist dessen Anhängsel in den Bars Bergens und trinkt seine Zunge zum Reden. Ohne Bier und Schnaps ist er nur der, der dabeisitzt, recht gut ausschaut aber auch irgendwie unheimlich wirkt.

Ist die Zunge erst gelockert verkommt Karl Ove dann zu einem unausstehlichen Blender, der nicht aufhören kann, davon zu krakehlen, dass er Schriftsteller sei, obwohl er doch noch gar keiner ist. Er wacht in fremden Fluren nach durchzechten Nächten auf, betrügt seine Frauen und schämt sich anschließend unerträglich leidend, dass es beim Lesen schmerzt.

Erst der Studiengang der Literaturwissenschaft bringt Erfolg. Karl Ove spielt sein Potential im Schreiben über Literatur aus – aber das Verspüren von Glück soll ihm nicht gegeben sein. Er tingelt von Wohnung zu Wohnung, von Frau zu Frau, von Bier zu Bier und was er findet, bringt nur temporär Frieden. Der einzige Anker: Sein Bruder Yngve. Dieses Band kann nicht einmal das kleine Eifersuchtsdrama um eine Frau zerschneiden. Und nach allem Kampf um eine Romanveröffentlichung dann der Erfolg – aber Zufriedenheit: Fehlanzeige.

Musikexperte, Kunstkenner, Schriftsteller, Ehemann, Vater: All das wird und ist Karl Ove Knausgård. Er lebte mal auf Island und an nahezu jedem Ort in Norwegen. Er beobachtet Otter, Wälder und das Meer. Die Idylle ohne Genuss. Da ist stets dieser Kampf, der niemals ein Ende finden kann. Das Leben Knausgårds ist ein Schlachfeld, eines, das voll von Blut und Tränen gesogen ist. Unmittelbar von der Front berichtet der Mann, der es erschaffen hat. Unermüdlich ist er in seinem Bericht. Welch eine Freude, dass man ihn lässt.

Karl Ove Knausgård: Träumen. Luchterhand, München 2015.

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