4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Am 21. September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 4 »Leben«.


In »Spielen« war Karl Ove Knausgård in seine Kindheit zurückgekehrt. Nach »Sterben« und »Lieben« folgte also eine gewaltiger Schritt zurück in der Lebenschronik des Autors. »Leben«, der vierte Band von sechs, mag der vielleicht unterhaltsamste der veröffentlichten sein. Die Bezeichnung Coming-of-Age-Roman kommt »Leben« am nächsten.

Karl Ove reist gerade volljährig nach Nordnorwegen. Hier soll er als Aushilfslehrer ohne pädagogische Vorkenntnisse unterrichten. Aber viel wichtiger: Die erste eigene Wohnung, eigenes Geld und keine Überwachung durch den Vater. Was folgt ist ein Exzess aus Trinkgelagen, Kopulationsversuchen und der ersten Annäherung an den Traum, Schriftsteller zu werden.

Bei Knausgård ist für jeden was dabei. Über den Tod lässt sich ausreichend in »Sterben« philosophieren, Partnerschaften werden zur Genüge und nicht nur in »Lieben« aufgedröselt – Reich-Ranicki hätte eigentlich zufrieden sein müssen. Ganz gleich in welchem Alter sich der Leser gerade befinden mag, in Knausgårds Romanen wird sich wohl jeder ein wenig wiederfinden können – es ist nunmal ein facettenreiches Leben, das aufgeschrieben wird.

Der vierte Band wendet sich einer gravierenden Veränderung in Karl Oves Leben zu. Die Eltern haben sich getrennt, er selbst zieht hoch in den Norden. Die Stelle als Aushilfslehrer scheint perfekt, um sich in Abwesenheit der Familie auszutoben, um Karl Ove eine Identität zu verpassen. Der Kauf einer teuren Musikanlage ist mit die erste Amtshandlung – Knausgård, Popmusikfan, verschuldet sich für die Anlage, aber es ist wie in den anderen Bänden: Er kauft und kauft, auch wenn er kein Geld hat.

Neben Büchern und Platten konsumiert Karl Ove nahezu grenzenlos Alkohol. Dabei liest sich der Schatten des alkoholkranken Vaters stets mit – was erschrickt. Die Zügellosigkeit, mit der der Erzähler hier in Erscheinung tritt, mag zunächst schmunzeln lassen. Allerlei Anekdoten über den betrunkenen Karl Ove reihen sich aneinander. Treten jedoch die vorherigen Bände in die Erinnerung, legt sich eine zweifelhafte Wolke über den jungen Mann, der die frisch gewonnene Freiheit so ausgiebig begießt, dass er sie wieder an Bier und Schnaps zu verlieren droht.

Dennoch wird hier durchaus amüsant und leicht von einer späten Pubertät erzählt, in der sich so mancher Mann wiedererkennen dürfte. Der Wunsch nach sexuellen Erfahrungen, den Zweifeln über die Vorgehensweise und die Standhaftigkeit. Das sind Hürden, die Erinnerungen wecken dürften. Und gerade die Standhaftigkeit ist bei Karl Ove Kern aller Sorgen und Hemmungen.

Dass sich der Protagonist von einer 13-Jährigen angezogen fühlt, ein anderes Mädchen nachts – in betrunkenem Zustand – nach Hause verfolgt, gar ohne Zustimmung ihr Zimmer betritt, sind nur zwei Beispiele, in denen sich erahnen lässt, dass Knausgård ein Durchtriebener ist. Einer, der es im Leben schwer haben wird. Einer, der aneckt. Einer, der die Kontrolle möglicherweise einmal zu oft verlieren könnte.

Möglich, dass es eine gute Idee ist, »Leben« und »Träumen« (Band 5) chronologisch nacheinander zu lesen, auch wenn Knausgård selbst ein loses Verhältnis zum chronologischen Schreiben unterhält. Beide Bände verfügen über eine Verwandschaft, die darauf zurückzuführen ist, dass die Entwicklung Knausgårds zu einem Erwachsenen seine eigene Zeit benötigt. Auch möglich, dass Worte wie Bier, Schnaps und Schwanz dominieren. Aber es handelt sich nunmal um den alltäglichen Kampf eines Heranwachsenden, der einiges nachholen will.

Knausgård, Karl Ove: Leben. Luchterhand, München 2014.

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