http://ecx.images-amazon.com/images/I/51-lRUH-uEL._SX304_BO1,204,203,200_.jpgSchon wieder ein Buch über die Wirtschaftskrise? Schon wieder ein Buch über unsere Ohnmacht gegenüber dem willkürlichen Fingerschnippen des Leviathans Finanzwesen? Schon wieder ein Buch über raffgierige Banker? Zumindest letzteres ist Joris Luyendijks Buch nicht.
Der niederländische Journalist hat im Auftrag des Guardian mit über 200 Insidern aus der Londoner City gesprochen, sie zu ihrem Beruf, ihrem Privatleben, ihren Moralvorstellungen befragt und dabei viele impressionistische Skizzen geliefert, einzelne Schicksale geschildert, dabei immer auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner, der allen diesen unterschiedlichen Menschen gemein ist. Gemeint ist die inhärente Struktur und Logik des Finanz- und Bankensektors oder wie Luyendijk es nennt: »die DNA«.

Ein anspruchsvolles Unterfangen mit durchaus anthropologischen Zügen, doch »Unter Bankern« ist purer Journalismus, subjektiv und selektiv; ein Buch, in dem sich sein Autor in einen verdeckten Psychologen verwandelt, der seine Banker unauffällig auf der Couch positioniert, sie dazu bringt, sich zu entspannen und ein bisschen von sich zu erzählen.

Die Vorstellung, dass Menschen in der City nur von Gier angetrieben werden, ist unausrottbar populär, ohne Zweifel angefacht durch das Medieninteresse an den Boni und durch Filme wie Wall Street oder in jüngerer Zeit The Wolf of Wall Street. Aber wenn man genau hinschaut und zuhört, greift »Gier« als Erklärung für dieses Verhalten zu kurz. Im Gegenteil, die Fokussierung der Öffentlichkeit auf die Gier der Banker war meiner Meinung nach der größte Fehler, den sie in der Zeit nach dem Lehman-Fall machen konnte.

Luyendijks Buch »Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges« war ebenfalls ein Insiderbericht, über die Arbeitsweise von Auslandskorrespondenten. Dabei war der Autor selbst fünf Jahre lang Nahost-Korrespondent und hat die Tücken der vermeintlich unbefangenen, faktenorientierten Berichterstattung am eigenen Leib erfahren. In »Unter Bankern« ist er jedoch als Laie nach London gegangen, um für den Guardian ein Blog über die Finanzhauptstadt Europas zu führen, aus dem schließlich das Buch entstanden ist.
Sein Werk gibt kleine Einblicke in eine amoralische Parallelwelt, abgeschottet von der Öffentlichkeit, in der eine Geheimsprache gesprochen wird und mit Begriffen wie total comp, Magic Circle, red-eye, revenue responsibility und ähnlichem operiert wird. Eine weitere große Rolle spielt die Schweigepflicht. Was in der Firma passiert, bleibt auch da. Ein sprachliches Tabu, vergleichbar vielleicht mit der omerta. Klingt mehr als nur ein wenig nach »The Godfather«. Zwar hat der code of silence nebenbei bemerkt auch praktische, geschäftliche Gründe, doch der Effekt ist derselbe.

Interessant ist, dass man nicht umhin kann, den skizzierten Lebensläufen, den Shortstorys, den Einzelschicksalen ein großes Maß an Verständnis entgegenzubringen, vielleicht sogar eine Unvermeidlichkeit festzustellen. Nur ein äußerst geringer Teil der Banker, Mathematiker, Trader steht für die verkommene, darwinistische Morallosigkeit, die wir so gerne bestätigt bekommen. Die meisten werden ins kalte Wasser geworfen, wo sich der Spreu vom Weizen trennt. Ein paar ertrinken gleich, ein paar später, andere lernen zu schwimmen, und viele lernen zu schwimmen und es gut zu finden. Man gewöhnt sich an das viele Geld, das man verdient:

»Money comes, money goes. But lifestyle comes, lifestyle stays«, bemerkten mir gegenüber auch andere Neutrale. Was bedeutet: Mit steigendem Einkommen wachsen auch die Ansprüche; viel schwerer ist es allerdings, sich bei sinkendem Einkommen wieder einzuschränken.

Und irgendwann hat man Familie, was ohnehin alles verändert. Was Luyendijk wirklich aufzeigt, ist das Festhalten guter Menschen an einem bösartigen System (um es mal populistisch zu sagen). Oder: die verzweifelte Suche nach Halt in einer Welt, in der es keinen Halt geben kann. Und wie schafft man überhaupt so etwas wie Halt in einer Atmosphäre des hire-and-fire? Am Ende weiß auch das Buch keine Antwort. Luyendijk versucht, dem Ganzen noch einen optimistischen Anstrich zu geben, indem er ein halbherziges Plädoyer für die Demokratie hält (die immer noch am besten dafür geeignet sei, alte Strukturen aufzubrechen und zu reformieren). Dass es ihm nicht gelingt, spricht eigentlich nur für das Buch.

Joris Luyendijk: Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt. Klett-Cotta: Stuttgart 2015.

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