Buch_Buchtitel_Bericht aus dem Inneren»Bericht aus dem Inneren« ist eine Expedition für Autor und Leser in eine ekstatische Vergangenheit. Das Werk ist 2014 im rowohlt-Verlag in Übersetzung von Werner Schmitz erschienen.

Ich lebe in der Gegenwart und in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Mein Freund Coetzee hat mal gesagt: Unsere Bücher sind vollgepackte Koffer, die wir am Straßenrand stehen lassen, während wir weiterreisen.

Es ist wohl der fünfte Roman, welchen man Memoiren oder – wie Herr Auster bevorzugt – autobiographische Schrift nennen könnte. Dabei ist das Werk das Pendant zum vorangegangen Werk »Winterjournal«, innerhalb dessen Auster über seinen äußerlichen Körper expressiv Schläge und Freuden des physischen Ichs wiederbelebt. »Bericht aus dem Inneren« ist nun die impressionistische Mobilisierung von inneren Kindheits- und Jugenderinnerungen. Beide Romane sind dabei durch eine ungewöhnliche Erzählperspektive verbunden: Auster spricht sich selbst und den Leser in der 2.Person an.
Der Aufbau des Romans ist dreiteilig, welche leider nach und nach an Charme verlieren.

 Eine Rückspiegelung eines Älteren für Ältere.

Während im  ersten Teil Auster Episoden aus seiner frühen Kindheit beschreibt, die ihn wie einen Schwamm gegenüber den Abenteuern und Eindrücken der Welt erscheinen lassen, aufgeladen mit einem solchen poetischen Geist, dass die Künstlichkeit dieser Erinnerungen dem Leser direkt ins Auge springt, verlieren die Folgenden an Lebendigkeit und sind mühsam zu lesen. Mit der Authentizität verhält es sich eher wie bei Schumanns Kinderszenen: Man erlebt keine realen Ereignisse aus vergangenen Zeiten, sondern eine Rückspiegelung eines Älteren für Ältere. Verstärkt durch die Erzählperspektive ist der Leser hier Zeuge eines intimen Dialogs zwischen dem schreibenden Auster zu seinem konstruierten, jungen Selbst. Er schafft hier einen wunderbaren Moment der Identifikation – man erwischt sich gar selbst dabei über vergangene Episoden romantisiert zu sinnieren. Dabei steckt einer der poetischen Höhepunkt in der folgenden Anekdote: »Bis zu deinem fünften, sechsten, vielleicht sogar siebten Lebensjahr glaubtest du, human being werde human bean ausgesprochen. Es war ein Rätsel, warum die Menschen durch ein so kleines, gewöhnliches Gemüse repräsentiert werden sollten, aber nach einigen geistigen Verrenkungen glaubtest du dein Missverständnis ausgeräumt zu haben und nahmst an, gerade die Kleinheit der Bohne mache sie bedeutsam, da wir alle schließlich im Mutterleib nicht größer als Bohnen anfingen und die Bohne folglich das ideale, das treffendste Symbol für das Leben sei.« Hier folgt man dem jungen Auster auf der Entdeckungsreise. Wird Zeuge, wie er begreift, dass nicht alle Menschen seiner Meinung sind, es nicht nur eine Wahrheit gibt und auch von ernsten Problemen: Die Stigmatisierung und Ausgrenzung durch seine jüdischen Wurzeln.

Auf Distanz und rastlos am Schreibtisch.

Auf diesen bildreichen Erguss folgt eine ausgiebige Beschreibung der Filme »Die unglaubliche Geschichte des Mr. C« (über einen Professor, der wegen eines naturwissenschaftlich Selbstversuchs drastisch schrumpft ) und »Jagd auf James A.« (einem Menschen, der vom Schicksal und politischen Regimen nach und nach vernichtet wird.). Auster thematisiert also zusätzlich zur eigenen Vergänglichkeit zwei Lebensgeschichten über die Vergänglichkeit des Lebens anderer – sehr meta.

Der dritte Teil trägt passend den Titel Zeitkapsel. In einem fast unkommentierten Wust aus Briefen an seine zukünftige Frau stoppt Auster hier den bisherigen Dialogfluss und ersetzt ihn durch Stillstand. Thema sind hier die frühen Jahre als Autor, das Studium und die Revolution der 68er. Darüber schwebend: Die eigene Einsamkeit und rastlose Suche nach Lebenssinn. Dabei sind zweifellos diese Dokumente interessante Zeitzeugnisse, in ihrer bloßen Aneinanderreihung wirken sie aber eher ermüdend und verwirrend.
Dass Paul Auster ein Kultautor ist und Werke wie »Die Erfindung der Einsamkeit«, die »New York Trilogie« und »Mond über Manhattan« geschrieben hat, braucht man ja eigentlich nicht mehr zu erwähnen. Schon oft haben die Feuilletons über seine Erfolgsstory – von der Jugend in provinzieller Enge zum erfolgreichen Autor mit glamourösem Familienleben im alten Brownstone-Haus in Brooklyn – berichtet.
Der »Bericht aus dem Inneren« bringt einem den Autor aber auch nicht Näher als die Feuilletons. Er ist nicht die angekündigte innerliche Entblößung, sondern eine weitere konstruierte Geschichte. Auster bleibt der artifizielle Autor, der sich vor der Gesellschaft verbirgt und der Eigenbrötler wie ihn seine Briefe an die Geliebte beschreiben. Auf Distanz und rastlos am Schreibtisch.

 

Paul Auster: Bericht aus dem Inneren. Rowohlt: Hamburg 2014.

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