»DON‘T CRY – WAIT!« Rainald Goetz »Johann Holtrop« wird nun doch erst im Spätsommer erscheinen und damit pünktlich zur Frankfurter Buchmesse. Ursprünglich war eine Veröffentlichung des Romans im Juli vorgesehen, jetzt gibt Suhrkamp den 10. September als geplantes Erscheinungsdatum an. Die offizielle Buchpräsentation wird am 26. September in Berlin stattfinden. »Johann Holtrop« wird die Werkreihe »Schlucht« komplettieren, zu der die bereits erschienenen Bände »Klage«, »Loslabern« und »Elfter September 2010« gehören. Der Roman »erzählt die Geschichte eines Chefs aus Deutschland in den Nullerjahren«.

Großbritannien im Jahr 2071: In London grassiert ein Nano-Virus, der unschuldige junge Mädchen in vampireske Cyborgs verwandelt, so genannte »Puppen«, deren Reizen die Männer reihum verfallen. »Puppen-Junkies« lautet die abfällige Bezeichnung für jene »Verräter an der Rasse«, die sich mit den »toten Mädchen« einlassen und den Virus dadurch weiter verbreiten. Aus Angst um den Fortbestand der Spezies Mensch formiert sich eine fanatische »Reinheitsfront«, die schon bald von der unter Zwang angewandten »medizinischen Behandlung« der »toten Mädchen« zum eiskalt geplanten und ausgeführten Mord übergeht. Doch es regt sich Widerstand, denn die »Puppen« wollen sich dem grausamen Schicksal, dass die Menschen ihnen zugedacht haben, nicht kampflos ergeben, zumal ihre Verwandlung sie mit enormen Kräften und übermenschlichen Fähigkeiten ausstattet. Eine hungrige Vagina dentata ist da noch die geringste Gefahr für die vornehmlich männliche Menschenwelt. Weiterlesen

In den letzten Jahren ist der Literaturwissenschaftler Terry Eagleton einem größeren Publikum im deutschsprachigen Raum vor allem durch zwei Bücher bekannt geworden: »Der Sinn des Lebens« von 2008 und »Das Böse« von 2011. In beiden Büchern stellt Eagleton genuin philosophische Fragestellungen und Problemlagen mit der ihm eigenen Leichtigkeit und Verständlichkeit dar und bringt sie so auch dem interessierten Laien näher. Sein jüngstes Werk mit dem Titel »Warum Marx recht hat« setzt diesen Weg fort, handelt es sich doch um eine ebenso fundierte wie streitbare Einführung in die Theorie von Karl Marx und den Marxismus. Ein schwieriges Unterfangen, zweifellos, denn über kaum jemand ist soviel gesagt und geschrieben worden wie über Marx – was natürlich den Grund darin hat, dass kaum jemand das neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert so stark geprägt hat wie Marx. Vor allem aber sind über kaum einen Philosophen und dessen Theorie derart viele Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Verzerrungen im Umlauf. Weiterlesen

Dietmar Dath, Schriftsteller und Journalist, und Barbara Kirchner, Professorin für theoretische Chemie, haben ein Buch geschrieben mit dem sperrigen Titel »Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee«. Doch ist der Titel allein, verglichen mit dem, was die Lektüre dieses buchgewordenen Ungetüms dem geneigten Leser abverlangt, noch vergleichsweise harmlos, denn auf gut 800 Seiten gehen Dath und Kirchner der Frage nach, »ob und wie so etwas wie sozialer Fortschritt gedacht und, wichtiger, gemacht werden kann«. Dazu durchforsten sie die Tiefen und Untiefen von Wissenschaft und Philosophie, Kunst und Literatur und picken sich heraus, was ihnen gelegen kommt und was gerade passt. Das Resultat ist ein Buch, das in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit kaum zu fassen ist, so vollgepackt mit Informationen, Reflexionen und Ideen ist es. Weiterlesen

An die Arbeitsweise des Journalisten richten sich besondere Ansprüche. So hat sich ein Journalist natürlich an die Fakten zu halten, klar, aber Fakten können auch der Literatur als Grundlage dienen. Wo ist also der Unterschied? Vielleicht liegt der Unterschied darin, dass Literatur nicht »wahr« sein muss, während ein journalistischer Text sehr wohl einer »Wahrheit« verpflichtet ist, um es pathetisch zu sagen. Aber was heißt das, einer »Wahrheit« verpflichtet zu sein? Worin besteht diese »Wahrheit« des Journalismus? Das ist keine rhetorische Frage, im Gegenteil. Zweifellos ist es eine grundlegende Frage, aber darum ist sie nicht weniger komplex. Was macht also einen gelungenen journalistischen Beitrag, einen »wahren« Beitrag aus? Zumindest im deutschsprachigen Raum wird diese Frage oft mit dem seltsamen Wort »Objektivität« beantwortet. Dagegen ist zweierlei einzuwenden: Erstens, dass es diese Objektivität, außer vielleicht als Ideal, nicht gibt und nicht geben kann. Man kann sich einem Sachverhalt von unterschiedlichen Seiten nähern, man kann verschiedene Zugänge einander entgegen halten und abwägen, aber das ist nicht objektiv, sondern allenfalls intersubjektiv, und auch dies nur in einem beschränkten Maße. Und zweitens, dass der Anspruch auf Objektivität leider mitunter dazu führt, dass journalistischen Texte eine Nüchternheit, ja man möchte sagen: eine Langeweile und eine Ödnis an den Tag legen, weil sie der irrigen Annahme folgen, dass der Verzicht auf rhetorische Mittel und sprachliche Finessen einen Text automatisch objektiv mache – nach dem Motto: nichts wagen, auch nicht sprachlich, und bloß nicht »ich« sagen. Weiterlesen

Joachim Lottmann. Der »Erfinder der deutschsprachigen Popliteratur«. Der »Erfolgsschriftsteller«. Der »Anti-Goetz«. Joachim Lottmann ist wieder da. War er denn jemals weg? Nein, eigentlich nicht. Und hat sich etwas geändert im »Kosmos Lottmann«? Nein, eigentlich nicht. Lottmann geht unbeirrt seinen Weg und schreibt wie er immer schreibt. Immerhin eine Konstante bei all den Höhen und Tiefen in Lottmanns Leben, von dem ja seine Erzählungen und Romane handeln – zumindest, wenn man dem Verfasser glaubt. Denn, so schreibt Lottmann in seinem Blog, seine Bücher basieren allesamt auf Erlebnissen, die zunächst in Tagebuchform festgehalten sind und die anschließend eine literarische Umsetzung gefunden haben. Weiterlesen

Keine Feststellung ist so banal, als dass man sie nicht unendlich oft wiederholen könnte. So vergeht kaum eine Woche, in der nicht die Zukunft des gedruckten Buches mit einem großen Fragezeichen versehen wird. Glaubt man dem kulturpessimistischen Raunen in den deutschen Feuilletons, dann läutet das unvermeidliche Ende des Buchzeitalters mindestens den Untergang der abendländischen Zivilisation ein. Denn zu den Opfern dieser Entwicklung zählten unmittelbar zwar die Verlage und Autoren, mittelbar sei aber die gesamte Kulturlandschaft betroffen. Und wer ist Schuld? Selbstverständlich das Internet. Das Internet schafft sie schließlich alle – darunter macht es kaum einer. Was natürlich Unsinn ist, aber an einer auch nur halbwegs realistischen Prognose ist den vermeintlichen Kassandras der Kulturkritik nicht gelegen. Wenn zum Beispiel die Unterstützer des so genannten »Heidelberger Appells« um den Literaturwissenschaftler Roland Reuß unter anderem gegen die Digitalisierungsbemühungen von »Google Book Search« protestieren, dann geht es – der vorgeblichen hehren Sorge um »die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft« zum Trotz – vor allem um die Sicherung der eigenen Pfründe. Die Befürchtung: eine Aushöhlung, wenn nicht gar eine Abschaffung des Urheberrechts in seiner jetzigen Form. Dass dieses Urheberrecht eine relativ neue Institution ist, deren Etablierung historisch an den Siegeszug eben jener kapitalistischen Eigentumsordnung und Produktionsweise gekoppelt ist, die momentan allenthalben den Bach runter geht, spielt in der Argumentation der gut situierten Besitzstandswahrer aus nahe liegenden Gründen keine Rolle.

Auf der anderen Seite stehen einige Stimmen der Vernunft, die die Digitalisierung des Buchmarkts als Chance, zumindest aber als eine im Prinzip unaufhaltsame Entwicklung begreifen, mit der sich die Betroffenen wohl oder übel arrangieren werden müssen. Einschätzungen dieser Art dürften in vielen Aspekten weitaus realistischer sein als das monotone Lamento der üblichen kulturpessimistischen Jammerlappen, doch gehen auch sie häufig von der Prämisse aus, dass es mit dem gedruckten Buch bald endgültig vorbei sein wird. Und selbst wenn das nicht explizit gesagt wird, so wird dieser Verlauf der Dinge doch zumindest suggeriert, wenn die Debatte um die zunehmende Digitalisierung ohne Verweise auf das Buch in seiner gedruckten Form geführt wird – gleich so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. In der Tat sind sich in diesem Punkt Befürworter und Kritiker erstaunlich oft einig und bilden so ironischerweise ein unfreiwilliges Bündnis gegen all jene, die der naiven Auffassung sind, dass sich auf dem Buchmarkt rein gar nichts ändern wird. Aber ist das Ende des Buchs wirklich so sicher? Fakt ist, dass die Kulturlandschaft der Zukunft anders aussehen wird als die heutige, und daran werden die veränderten Produktions- und Distributionsbedingungen einen entscheidenden Anteil haben. Die Verlage und ihre Autoren werden sich auf die digitale Herausforderung einstellen müssen, oder sie werden untergehen. Aus dieser im Grunde trivialen Einsicht aber das Ende des gedruckten Buches abzuleiten, ist eine gewagte These. Schließlich bietet das Internet der Literatur schon heute ungeahnte Möglichkeiten und die Literatur ergreift sie. Warum also nicht beides – gedruckte und digitale Medien?

Erich Mühsam: »Tagebücher«. Erster Band: 1910-1911. Verbrecher Verlag: Berlin 2011. 

Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher Art in den von den Juden so unendlich gehassten »Protokollen der Weisen von Zion« gezeigt. Sie sollen auf einer Fälschung beruhen, stöhnt immer wieder die »Frankfurter Zeitung« in die Welt hinaus: der beste Beweis dafür, dass sie echt sind… Wenn das Buch erst einmal Gemeingut eines Volkes geworden sein wird, darf die jüdische Gefahr auch schon als gebrochen gelten.

Diese Einschätzung eines gescheiterten österreichischen Kunstmalers zitiert Umberto Ecos »Der Friedhof in Prag« in seinem Anmerkungsapparat. Auch die genaue Quelle ist angegeben: Adolf Hitlers »Mein Kampf«, erster Band, von 1925. Die Vorgeschichte der von Hitler und anderen Antisemiten aufgegriffenen »Protokolle der Weisen von Zion«, die erstmals 1905 auf Russisch erschienen sind und sich innerhalb kürzester Zeit verbreitet haben, steht im Zentrum von Ecos jüngstem Roman. Und obwohl die Handlung dementsprechend ausschließlich im neunzehnten Jahrhundert angesiedelt ist, zunächst in Italien und später dann in der französischen Metropole Paris, ist »Der Friedhof in Prag« von höchster Aktualität in einer Zeit, in der in den Feuilletons und anderswo über die Chancen und Risiken einer kommentierten Publikation von »Mein Kampf» diskutiert wird, während gleichzeitig judenfeindliche Ressentiments einer neuen Studie zufolge in ganz Deutschland stetig zunehmen. Weiterlesen