Keine Feststellung ist so banal, als dass man sie nicht unendlich oft wiederholen könnte. So vergeht kaum eine Woche, in der nicht die Zukunft des gedruckten Buches mit einem großen Fragezeichen versehen wird. Glaubt man dem kulturpessimistischen Raunen in den deutschen Feuilletons, dann läutet das unvermeidliche Ende des Buchzeitalters mindestens den Untergang der abendländischen Zivilisation ein. Denn zu den Opfern dieser Entwicklung zählten unmittelbar zwar die Verlage und Autoren, mittelbar sei aber die gesamte Kulturlandschaft betroffen. Und wer ist Schuld? Selbstverständlich das Internet. Das Internet schafft sie schließlich alle – darunter macht es kaum einer. Was natürlich Unsinn ist, aber an einer auch nur halbwegs realistischen Prognose ist den vermeintlichen Kassandras der Kulturkritik nicht gelegen. Wenn zum Beispiel die Unterstützer des so genannten »Heidelberger Appells« um den Literaturwissenschaftler Roland Reuß unter anderem gegen die Digitalisierungsbemühungen von »Google Book Search« protestieren, dann geht es – der vorgeblichen hehren Sorge um »die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft« zum Trotz – vor allem um die Sicherung der eigenen Pfründe. Die Befürchtung: eine Aushöhlung, wenn nicht gar eine Abschaffung des Urheberrechts in seiner jetzigen Form. Dass dieses Urheberrecht eine relativ neue Institution ist, deren Etablierung historisch an den Siegeszug eben jener kapitalistischen Eigentumsordnung und Produktionsweise gekoppelt ist, die momentan allenthalben den Bach runter geht, spielt in der Argumentation der gut situierten Besitzstandswahrer aus nahe liegenden Gründen keine Rolle.

Auf der anderen Seite stehen einige Stimmen der Vernunft, die die Digitalisierung des Buchmarkts als Chance, zumindest aber als eine im Prinzip unaufhaltsame Entwicklung begreifen, mit der sich die Betroffenen wohl oder übel arrangieren werden müssen. Einschätzungen dieser Art dürften in vielen Aspekten weitaus realistischer sein als das monotone Lamento der üblichen kulturpessimistischen Jammerlappen, doch gehen auch sie häufig von der Prämisse aus, dass es mit dem gedruckten Buch bald endgültig vorbei sein wird. Und selbst wenn das nicht explizit gesagt wird, so wird dieser Verlauf der Dinge doch zumindest suggeriert, wenn die Debatte um die zunehmende Digitalisierung ohne Verweise auf das Buch in seiner gedruckten Form geführt wird – gleich so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. In der Tat sind sich in diesem Punkt Befürworter und Kritiker erstaunlich oft einig und bilden so ironischerweise ein unfreiwilliges Bündnis gegen all jene, die der naiven Auffassung sind, dass sich auf dem Buchmarkt rein gar nichts ändern wird. Aber ist das Ende des Buchs wirklich so sicher? Fakt ist, dass die Kulturlandschaft der Zukunft anders aussehen wird als die heutige, und daran werden die veränderten Produktions- und Distributionsbedingungen einen entscheidenden Anteil haben. Die Verlage und ihre Autoren werden sich auf die digitale Herausforderung einstellen müssen, oder sie werden untergehen. Aus dieser im Grunde trivialen Einsicht aber das Ende des gedruckten Buches abzuleiten, ist eine gewagte These. Schließlich bietet das Internet der Literatur schon heute ungeahnte Möglichkeiten und die Literatur ergreift sie. Warum also nicht beides – gedruckte und digitale Medien?

Erich Mühsam: »Tagebücher«. Erster Band: 1910-1911. Verbrecher Verlag: Berlin 2011. 

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