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Der Schauspielregisseur Michael Thalheimer hat seine Aktualität letztes Jahr im Frankfurter Schauspielhaus erneut bewiesen: Hans Falladas Werk »Kleiner Mann – was nun?« ist ein zeitloses Kapitalismus-Drama.

Tatsächlich spielt der Roman im Jahr 1930, Deutschland steckt mitten in der Wirtschaftskrise, der Arbeitsmarkt ist ein Ort der Ausbeutung und Erniedrigung. Weiterlesen

»Der eindimensionale Mensch« wird in diesem Jahr fünfzig Jahre alt. Thomas Ebermann, Andreas Spechtl und Robert Stadlober haben Herbert Marcuse auf die Bühne gebracht

Eingeklemmt zwischen jungen Kommunisten mit Karl-Marx-Bart, Reformhauskundinnen im selbst gestrickten Sackpullover und Jutta Dittfurth wartet man, dass endlich irgendetwas passiert. Aber es passiert nichts, und weil nichts passiert, macht man sich so seine Gedanken. Und man denkt: Nie lagen Glanz und Elend dieser Jahre, der Jahre der letzten, ja, sagen wir doch: Revolution, die dieses Land gesehen hat (hat jemand 1989/90 gesagt?), so nah beisammen. Und dann, nach einer verschlurft sympathischen Einführung von Thomas Ebermann, der Leben und Schaffen Herbert Marcuses vorstellt, kommen zwei schöne junge Männer auf die Bühne und entfachen ein Feuerwerk aus Marxismus, Krach und Zärtlichkeit, dass es einen nur so umhaut. Weiterlesen

414_04525_109089_xlEin großes Ereignis beschäftigt die Verlagswelt schon seit Anfang des Jahres: Michael Krüger, der Titan der deutschen Literatur und bis dato Leiter des Hanser Verlags, geht in den wohlverdienten Ruhestand. Über seinen Nachfolger Jo Lendle sind die Meinungen momentan zwar noch geteilt, so viel hat man bisher vernehmen können: ist jung, aber nicht unerfahren, nett, aber nicht naiv und nebenbei auch Autor.
2011 erschien in der Deutschen Verlagsanstalt »Alles Land«, ein Roman, dessen einziger Fehler es zu sein scheint, dass er nach »Die Vermessung der Welt« erscheinen musste. Weiterlesen

Noch zu Schulzeiten schrieb und veröffentlichte dieser genialische junge Mann sein erstes Buch, das zeit seines viel zu kurzen Lebens auch sein einziger großer literarischer Erfolg bleiben sollte. Ronald M. Schernikaus »Kleinstadtnovelle«, 1980 erschienen, handelt vom Coming-out in der deutschen Provinz und davon, wie schwierig es ist, im pseudoliberalen Mief der Post-Hippie-Ära politisch Haltung zu bewahren. Der Protagonist ist Schüler am Gymnasium, homosexuell, Kommunist und klüger als alle Mitschüler und Lehrer sowieso. Unverkennbar stand die eigene Person der Literatur Pate, doch trübt die biographische Fokussierung auch hier den Blick auf das Wesentliche, nämlich auf die ungeheuren literarischen Qualitäten dieses doch so kurzen Textes, auf die sprachliche Eleganz wie die stimmungsvolle Komposition. »Kleinstadtnovelle« ist, was der Titel verspricht – eine Novelle, die in ihrer Formstrenge und ihrem unbedingten Kunstwillen nicht ganz zufällig an das große Vorbild Peter Hacks erinnert. In einer besseren Welt wäre »Kleinstadtnovelle« Pflichtlektüre an allen Schulen in diesem Land.

In Zeiten einer scheinbar grenzenlosen Liberalität gehört schon einiges dazu, dass ein Roman auf dem Index landet. So geschehen mit »American Psycho« von Bret Easton Ellis, den die Damen und Herren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien aufgrund detaillierter Schilderung verschiedenster Gewalttaten immerhin für sechs Jahre aus dem Verkehr zogen. Eine absurde Begründung, denn schließlich wird der Roman doch immer dann besonders eklig, wenn der sympathische Patrick Bateman seitenweise von Phil Collins und Whitney Houston schwärmt. Verglichen mit diesen Höhepunkten der Scheußlichkeit können die Morde, Vergewaltigungen und Folterungen, durch die Bateman die saturierte Langeweile seines Yuppie-Daseins aufzupeppen versucht, kaum noch schockieren. Und davon, dass die Damen und Herren Zensoren die literaturgeschichtliche Bedeutung dieses großen Romans, der die ästhetischen Ansätze der Popliteratur gekonnt mit Schreibweisen der Décadence (Huysmans, you know?) verbindet, wahrscheinlich nicht einmal erahnten, wollen wir an dieser Stelle besser gar nicht erst anfangen.

Schöpfung, geboren aus Wahn, Furcht und Ohnmacht. Die Angst vor dem unendlichen, grauenerregenden Abgrund, der hinter der brüchigen Fassade der modernen Welt lauert, hat ihn zeit seines kurzen Lebens umgetrieben. Und sie hat Seltsames, gar Widersprüchliches hervorgebracht. Im Privaten war Howard Phillips Lovecraft ein weltfremder Sonderling mit zum Teil fragwürdigen politischen Ansichten. Im Künstlerischen hat er weit mehr geschaffen als ein umfangreiches und einzigartiges literarisches Werk – er hat einen Mythos ins Leben gerufen, der bis heute in Literatur, Musik und Popkultur fortwirkt. Das fiktive Buch Necronomicon, das etwa Tocotronic auf ihrem 2002er Album besingen, geht ebenso auf Lovecraft zurück wie die vielfach kolportierte Vorstellung einer mysteriösen außerirdischen Rasse, genannt »die Großen Alten«. Wichtiger als der Nachruhm und die Nachahmer ist aber, dass Lovecrafts Romane, Erzählungen und Kurzgeschichten auch heute noch unbedingt lesenswert sind. Genauso wie der grandiose Lovecraft-Essay von Michel Houellebecq, »Gegen die Welt, gegen das Leben«.

Man muss sich Thomas Bernhard als humorvollen Menschen vorstellen. Die Grantelei als höchstes, vollendetes Mittel der Komik, nirgends kommt sie besser zur Geltung. Vielleicht ist Bernhard doch ein »Alpen-Beckett«, wie ein Literaturkritiker schrieb. Aber auch im österreichischen Flachland treiben sich seine Figuren um, namentlich in der Bundeshauptstadt. Etwa in dem Roman »Holzfällen«. Da sitzt einer stundenlang im Ohrensessel, inmitten einer vornehmen Wiener Abendgesellschaft, und überzieht die anwesende Entourage in seinen mäandernden Gedankenspiralen mit Hass, Spott und Häme. Das präpotente Gastgeberehepaar, der narzisstische Burgschauspieler, der ganze unwichtige Anhang: alle sind sie zutiefst niederträchtig, stumpfsinnig, abstoßend. Als der Komponist Gerhard Lampersberg, ein früherer Freund Bernhards, sich in der Figur des Auersberger zu erkennen glaubte, kam es zum Skandal: Beschlagnahmung des Romans, Gerichtsverfahren, Justizdummheit. Komisch sind scheußliche Menschen nicht nur in der Literatur, sondern auch in Wirklichkeit.