sagte der Bär zu dem Jungen, als der Junge an Bord ging. »Richtige« Namen haben die beiden Protagonisten in Dave Sheltons Roman »Bär im Boot« nicht, sie sind einfach der Junge und der Bär. Und das macht auch gar nichts, denn das Figurenspektrum im Roman ist recht übersichtlich, die beiden bleiben unter sich. Genauso offen wie die Namensfrage lässt der Autor die Fragen, woher der Junge kommt, warum er zu einem sprechenden (!) Bären ins Boot steigt und wohin genau die Fahrt gehen soll. Lediglich, dass der Junge »auf die andere Seite« möchte, erfährt der Leser. Und wer aufmerksam liest, findet noch einen Hinweis auf die Herkunft des Jungen, aber ob die kleine Küstenstadt in Norfolk auch Ausgangspunkt seiner Reise ist, wissen wir natürlich nicht. Überhaupt spielen diese Dinge eine untergeordnete, eigentlich gar keine Rolle in dem Roman. Der Schwerpunkt liegt auf den beiden Hauptfiguren, auf dem Bär und dem Jungen und auf ihrer (Über)Fahrt über das Meer. Dem Jungen wird schnell klar, dass diese Fahrt ungewöhnlich lange dauert:

»Aber«, der Junge runzelte die Stirn, »müssten wir dann nicht längst da sein? Ich weiß, du hast gesagt, es würde ein Weilchen dauern, aber ich dachte, das heißt eine Stunde oder so, nicht die ganze Nacht. Müssten wir also nicht schon da sein? Oder es jedenfalls sehen können?«

»Ah, ich verstehe« sagte der Bär. »Ja, richtig, normalerweise wären wir jetzt schon angekommen, aber leider gab es … unvorhersehbare Anomalien im Strömungsverlauf, und wir mussten unseren Kurs ein wenig anpassen. Darum sind wir jetzt ein klein bisschen verspätet. Tut mir Leid.«

Und solche »unvorhersehbaren Anomalien im Strömungsverlauf« treten häufiger auf, die Reise der beiden verzögert sich immer wieder. Die mangelnde Kompetenz des bärigen Kapitäns, die jener durch ein ausgesprochen gesundes Selbstbewusstsein und einfallsreiche Erklärungen zu überspielen weiß, trägt ihr Übriges dazu bei. Die Atmosphäre an Bord, die zu Beginn noch etwas ereignisarm ist, wird zunehmend spannender. Neben der Frage wie auf hoher See an neuen Proviant zu gelangen ist und die es zu lösen gilt, sind Seeungeheuer zu bewältigen und Unwetter zu überstehen. Für Nachmittagstee und das Lieblingsspiel des Bären (»Ich sehe was, was Du nicht siehst«) bleibt kaum mehr Zeit.

Trotz oder vielleicht gerade wegen der vielen ungeklärten Fragen gelingt es dem Autor, eine abenteuerliche Geschichte zu erzählen, in der bis zum Schluss (im Grunde sogar darüber hinaus) die Spannung aufrecht erhalten bleibt. Getragen wird sie auch von der Ironie der Dialoge zwischen den beiden Protagonisten:

»Wenn wir also die Ersten sind, die sie betreten, dürfen wir ihr[1] dann einen Namen geben?«

»Ich weiß nicht«, sagte der Bär. »Vielleicht.

Ja. Ja. Warum nicht?«

»Toll!«, sagte der Junge. »Wir können sie nach mir nennen.«

Beide dachten eine Weile darüber nach, allerdings auf unterschiedliche Weise.

»Es sei denn, sie ist furchtbar«, sagte der Junge. »Dann können wir sie nach dir nennen.«

»Vielen Dank«, sagte der Bär.

»Gern geschehen«, sagte der Junge.

Dass man auch am Ende der Geschichte keine Antworten auf die eingangs erwähnten Fragen hat, kann enttäuschen, gehört aber wohl zum Konzept des Romans.

 

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die gelungene Gestaltung des Buches, so ramponiert wie es aussieht könnte man fast meinen, dass es mit an Bord war: Der Umschlag zeigt die ominöse Seekarte des Bären, die im wahrsten Sinne des Wortes eine »See«karte ist, ist auf ihr doch neben dem Teetassenfleck des Bären und einer zerdrückten Fliege kein bisschen Land zu sehen. Begleitet wird Dave Sheltons Geschichte von ausdrucksstarken, comicartigen Illustrationen, die zum Teil farbig, zum Teil schwarz-weiß gestaltet sind und vom Autor selbst stammen.

Dave Shelton: Bär im Boot. Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Carlsen Verlag: Hamburg 2013.


[1] Mit »ihr« ist eine Insel gemeint.

 

 

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