Wer hat sich das bloß ausgedacht? Es gibt Dinge auf der Welt, die scheinen leider so selbstverständlich, dass man sich nur noch selten daran stößt. Zum Beispiel fünf Tage im Büro, auf dem Bau oder woauchimmer schuften – für ein läppisch kurzes Wochenende. Und wer hat gesagt, dass nur die runden Geburtstage gefeiert gehören oder dass es für Ausgelassenheit und Exzess überhaupt einen Anlass braucht? Dem tristen Alltag aus Lohnarbeit, Familienstumpfsinn und Hochkulturblödheit, all den offenen und verborgenen Zwängen und Forderungen das Versprechen von Befreiung und Glück entgegensetzen, das war und ist ein Anliegen von Pop. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, weshalb die Spex, das Zentralorgan der deutschen Popintelligenzija, einfach so zwischendurch feiert. Jedenfalls hat man sich selbst und der Leserschaft ganz unrunde 33 1/3 Jahre nach Gründung nun ein Geschenk dargebracht. »Spex – Das Buch« versammelt Texte aus mehr als drei Jahrzehnten, verfasst von einer höchst illustren Riege von Autorinnen und Autoren: Tobias Levin, Jens Balzer, Christoph Gurk, Eric Pfeil, Tobias Rapp – um nur einige zu nennen.

Selbstredend sind Urgesteine wie Clara Drechsler und Diedrich Diederichsen ebenfalls vertreten, ebenso Schriftsteller wie Rainald Goetz und Joachim Lottmann sowie die ehemaligen Chefredakteure Dietmar Dath, Uwe Viehmann und Max Dax. Letzterer hat auch den Sammelband zusammen mit Anne Waak herausgegeben. Und bunt gemischt sind auch die Themen: Oftmals alles andere als klassisch geratene Band- und Künstlerporträts widmen sich neben den üblichen Verdächtigen wie Joy Division, My Bloody Valentine, Madonna oder Blumfeld mit Guns‘n‘Roses, AC/DC und Rammstein auch Phänomenen, die man im Spexkosmos nicht unbedingt an erster Stelle vermuten würde. Überhaupt, diese Offenheit! Tom Holert schreibt über die Scheußlichkeit des neuen Europa. Sebastian Zabel berichtet über die Entwicklung von Rave in Manchester. Und Manfred Hermes fragt, ob wir politisch korrekt sind oder sein sollten. Dazu kommen Dossiers, Interviews, und und und.

Bei aller Verschiedenheit der Themen wie der Herangehensweisen eint die in »Spex – Das Buch« zusammengestellten Texte der Anspruch einer kritischen Distanz zum Gegenstand Pop, wohl wissend der eigenen Verwicklungen und Abhängigkeiten. Zuallererst ist diese Qualität der Reflexion, auch der Selbstreflexion, der Grund dafür, weshalb die Spex für das Schreiben über Pop gerade in ihren Anfangsjahren so wichtig war. Das Kumpelige und Ranschmeißerische, das viele Musikzeitschriften so unlesbar macht, wurde und wird hier sorgsam vermieden. Stattdessen: theoriebeladenes Expertentum, szeneinternes Geheimwissen und neunmalkluge Bescheidwisserposen. Aber all das zu lesen bereitet großes Vergnügen, eben weil die Sprache nicht nur der Erkenntnis dient, sondern darüber hinaus immer auch einem ästhetischen Anspruch einzulösen versucht.

Soviel zur thematischen Vielfalt, zur Ausrichtung und zu den Autorinnen und Autoren. Nun steht und fällt ein derartiges Kompendium natürlich mit der Auswahl der Texte. Nicht irgendwelche Texte sollen es schließlich sein, sondern sogenannte »Schlüsseltexte«, wie der Klappentext ganz unbescheiden verkündet. Doch hier fangen die Probleme an, denn was gehört mit rein ins Buch, was bleibt außen vor? Warum zwar diese Band, die andere aber nicht? Warum wird dieser Autor berücksichtigt und nicht jener? Fragen über Fragen.
Über all das ließe sich lang und breit diskutieren. Die Herausgeber haben sich darum vorsorglich abgesichert. »Eines von mehreren möglichen Vorworten«, so ist ihre knappe Einleitung überschrieben. Was soviel heißt wie: Die Zusammenstellung der Texte ist trotz des Anspruchs, die Entwicklung der Spex hinsichtlich ihrer Brüche und Kontinuitäten möglichst umfassend abzubilden, naturgemäß subjektiv. Andere Konstellationen wären durchaus denkbar und, wer weiß, vielleicht sogar vorzuziehen. Aber das bleibt Spekulation und die Debatte darüber, gleichwohl sie halbherzig geführt wurde, ist müßig. Zumal die dokumentarische Qualität für den Leser nicht unbedingt Vorrang hat. Denn dem wird mit dem Sammelband, erschienen im kleinen und feinen Metrolit Verlag, tatsächlich ein Geschenk gemacht – auf dass er sich daran lesend, stöbernd und staunend erfreue.

Max Dax, Anne Waak (Hrsg.): Spex – Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop. Metrolit: Berlin 2013. 

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