Es gibt spleenige Autoren. Victor Hugo schrieb »Les Miserables« nackt. Dann gibt es Autoren, die zu Lebzeiten zu wenig beachtet wurden. Richard Yates beispielsweise. Und dann gibt es Nathanael West. Dessen verworrener Lebenslauf zwischen jüdischen Wurzeln, dem Paris der Bohème und Hollywood zeugt von einem Menschen, der den Zeitgeist seiner Generation schneller durchblickt hatte als alle anderen und der deshalb zum vorläufigen Scheitern verurteilt war. Er war ein Idol für Autoren wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald und prophezeite im Jahre 1939 bereits den Zusammenbruch des Studio-Systems von Hollywood, der in den 50ern dann auch Einzug halten sollte. Gleichzeitig war Nathanael West aber auch ein Lügner und Fälscher, der sich mit den Ergebnissen eines Namensvetters immatrikulierte, Texte von anderen Autoren wie Flaubert »überarbeitete«, um sie unter eigenem Namen zu veröffentlichen, und der sich stets als langjähriges Mitglied der »lost generation« bezeichnete, obwohl seine Reise nach Paris nachweislich nicht einmal ein halbes Jahr dauerte. »Der Tag der Heuschrecke«, eben jenes Buch über die Schattenseite Hollywoods, markiert den Höhepunkt, aber gleichzeitig auch das Ende einer Karriere, ein Jahr darauf stirbt Nathanael West bei einem Autounfall. In den 60er und 70er Jahren schafften es zwar einige Übersetzungen durch den Diogenes Verlag in den deutschsprachigen Raum, wirklich beachtet wurde West jedoch erst, als 2011 bei Manesse eine Neuübersetzung von »A cool Million« erschien. Seitdem wurde die Reihe fortgesetzt, das letzte Glied in der Kette bildet (bis jetzt) »Der Tag der Heuschrecke«, welches oftmals als das beste Buch über Hollywood bezeichnet wurde. Erzählt wird die Geschichte von Tod Hackett, einem Maler und Künstler, der sich während der großen Depression in der Traumfabrik bei Los Angeles aufhält.
Der Alte war ein Clown, und Tod hegte für Clowns die unter Malern verbreitete Zuneigung.
Er lernt allerhand skurrile Gestalten kennen, die am Rande der glamourösen Welt ihr Dasein fristen, unter anderem einen abgehalfterten Trinker, der immer den Cowboy spielt, der im ersten Akt erschossen wird, einen pensionierten Harlekin, der mit Silberpolitur hausieren geht und einen Zwerg, der sich auf Hahnenkämpfen als Kenner ausgibt. Lug und Betrug sind auf jeder Seite gegenwärtig, auch jenseits der fiktionalen Welt der Filme, die gedreht werden, scheint nichts real und von Wert zu sein. An sich wird das Thema Hollywood selbst äußerst selten angesprochen, nur am Rande erfährt man hin und wieder von Dreharbeiten, an denen Tod vorbeigeht. So wohnt man beispielsweise einer Szene aus »Waterloo« bei, die zum Desaster wird, als ein Pappmaché-Berg zusammenbricht, oder einer der Charaktere pfeift ein Stück Filmmusik.
Mehr an Platz scheint Hollywood aber in den Herzen der Menschen, die direkt daneben wohnen, nicht einzunehmen. Jeder versucht, seines eigenen Glückes Schmied zu sein, so auch Faye, die Tochter des hausierenden Clowns, deren großer Traum es ist, Schauspielerin zu werden. Zwischen Tod und Faye entwickelt sich etwas, das man nur mit sehr viel Naivität als Liebesbeziehung beurteilen könnte, vielmehr ist Tod fasziniert von der ausgesprochenen Billigkeit, die Fayes Person und Auftreten ausstrahlen, während diese einzig und allein an Aufstiegschancen interessiert zu sein scheint. Die dritte Figur, auf welche die Erzählung sich konzentriert, ist Homer Simpson. Dieser hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Familienvater aus der bekannten Zeichentrickserie gemein und ist stattdessen ein depressiver, unnahbarer Charakter, der hauptsächlich wegen seiner Gesundheit ins warme Hollywood gezogen ist und der anfangs mit dem ganzen Chaos nichts zu tun haben möchte, aber dennoch wider Willen hineingezogen wird.
Er scheint als im Grunde sehr gutherziger Mensch in dieser Gesellschaft fehl am Platz, in der jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist und mit falschen Karten spielt. Die Aussicht auf Erfolg oder auch nur eines Fetzen desselben hat die moralischen Qualitäten der meisten Menschen verkümmern lassen, der Einzige, der sich ein wenig um Homer kümmert, ist Tod, und dass, obwohl sie beide Rivalen im Werben um Faye sind. Die nachfolgenden Verstrickungen, die eine klassische Hollywood-Dreiecksbeziehung wie ein Kindergarten-Schauspiel am Tag der offenen Tür aussehen lassen, tragen ihren Teil dazu bei, dass für keine der drei Figuren der goldene Traum in Erfüllung geht, dafür steht am Ende die Vollendung eines von Tods Bildern, das noch Jahrzehnte als »Der Brand von Los Angeles«, in Erinnerung bleiben sollte.
In dem Moment, in welchem der Leser das Buch beendet zur Seite legt, bildet sich ein bitterer Film aus Enttäuschung auf der Zunge, das geschieht jedoch keineswegs wegen der mangelnden Qualität, wie man es vielleicht von so mancher Trivialliteratur gewöhnt ist. Es ist vielmehr die Schlechtigkeit der Menschen, die einem einmal mehr bewusst wird und die exzellente Gabe, solche zu dokumentieren, die Nathanael West hier an den Tag legt. Die Neuübersetzung von Klaus Modick wird dem etwas speziellen Stil des eigenwilligen Literaten in einer sehr malerischen Weise gerecht und das Werk glänzt in typischer Manesse-Manier durch eine hervorragende Aufmachung. Lassen Sie sich von dem schönen Äußeren aber nicht täuschen! Hinter der Fassade steckt schwarzer Humor, so schwarz wie die Weltwirtschaftskrise und so makaber wie die Varieté-Shows auf dem Hollywood-Boulevard der 30er Jahre.
Nathanael West: Der Tag der Heuschrecke. Aus dem Amerikanischen von Klaus Modick. Manesse Verlag: München 2013.