4 Bände sind bereits von Karl Ove Knausgårds 6-Teiligem umstrittenen Mammut-Projekt in deutscher Übersetzung erschienen. Im September wird mit „Träumen“ nun Band 5 erhältlich sein. Zu diesem Anlass wirft das Octopus-Magazin einen Blick auf die vorherigen Titel – eine Retrospektive. Hier: Band 1 »Sterben«.


Gut ist, wenn Kunst polarisiert. Wenn sie streitbar wird, Auslöser einer Debatte ist, ja eine Meinung provoziert. Knausgård hat mit seiner autobiographischen Reihe erreicht, dass man über sein Schaffen diskutiert. Und das in ungewohntem Ausmaß, wo doch das Feuilleton sich mehr der Politik verschrieben hat, als der Kultur. Aber wer in Norwegen etwa 500.000 Exemplare verkauft, in einem Land, das ca. 5 Millionen Einwohner aufweist, und auch in den Vereinigten Staaten ein Hit ist, dem ist Aufmerksamkeit gewiss. Und das ist gut so.

Aber was macht die Faszination aus, die renommierte Literaturexperten dazu bewegt, Knausgård öffentlich zu huldigen? Immer wieder wird zugegeben, es bestehe eine Art Abhängigkeit. Die Lektüre sei wie eine Droge. Man überlebe den Tag nur in der Gewissheit, am Abend seitenweise Knausgård in sich hineinzulesen. Nur warum? Denn ein Aspekt der knausgårdschen Bücher, der bisher selten bis gar nicht Qualitätsmerkmal von Literatur war, überwiegt allen anderen: das rigoros Banale.

»Sterben« ist ein 575-seitiges Buch. Und es plätschert in simpler, in einer für jeden nachvollziehbaren Sprache vor sich hin. Ein Ich-Erzähler, der vorgibt, Karl Ove Knausgård zu sein, blickt auf Teile seines Lebens zurück. Berichtet wird von den familiären Verhältnissen der Kinder- und Jugendzeit auf dem Land in Norwegen. Dass Knausgård selbst noch nicht in einem Alter ist, in dem eine biographische Verarbeitung in solch einem Umfang zu erwarten wäre, ist verwunderlich und schürt Erwartungen. Aber wer nun ein abenteuerliches Leben mit Schicksalsschlägen und Heldentum riecht, der liegt falsch. Hier wird von einem durchschnittlichen Leben erzählt. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber da ist ein Konflikt, der von der Seele wegerzählt werden muss. Stein des Anstoßes ist der Vater Knausgårds. Der vermiest die norwegische Landidylle inmitten von Seen und Wäldern. Es fehlt nicht viel und die Vaterfigur wird zum Monster. Zumindest aus der Sicht des kindlichen Erzählers, der niemals die Perspektive des Vaters rekapituliert. Es handelt sich hier um einen Mann karger Worte, mit einer Kälte, die mehr psychische Schäden hinterlässt, als körperliche. Hunderte Seiten lang folgen Beispiele, die den Vater in einem fragwürdigen Licht dastehen lassen, unreflektiert – dann bricht es ab.

Jetzt, Jahre später ist Vater tot. Totgesoffen hat er sich im Haus der eigenen Mutter. In Urin, Kot und Abfällen hat er dort gehaust, die Mutter ebenfalls zur Alkoholikerin werden lassen. Es ist die Bestürzung, die Fassungslosigkeit, die den Leser jetzt an das Buch bindet. Entwaffnend ist die banale, unbarmherzige Wortwahl, die die Befremdlichkeit der grausigen Situation aufrichtig zu machen scheint. Detailliert wird der Prozess von der Aufarbeitung des Todes wiedergegeben – ohne Filter. Kinder, die ihren Vater lieben und hassen gelernt haben. Wie reagieren, wenn Vater auf einem Müllberg krepiert?

Über zig Seiten blickt man verunsichert über die Schultern Knausgårds, begleitet ihn, wie er auf den Knien das Haus von Schimmel und Fäkalien befreit, wie er mit sich selbst zu kämpfen hat, mit seinem Bruder und der Furcht, Vater könnte doch irgendwie überlebt haben. Dann die erlösende Gewissheit: Vater ist wirklich mausetot. Und um Fassung ringen letztlich beide: der Erzähler und der Leser.

Es ist die Schilderung einer Konfrontation, ohne glättende Worte, ohne Scham, ohne dem Hinweis, das alles gut werden wird. Das prekäre dabei: Es handelt sich um Charaktere aus dem echten Leben. Die besprochenen Figuren sind Menschen, die existieren, die größtenteils noch heute in Norwegen leben und mit Knausgård teilweise gebrochen haben. Einzig der Name des Vaters und der des Onkels werden verschleiert – die Folge eines Gerichtsverfahrens.

Hier erzählt einer aus dem Leben. Unverpackt, unverblümt und ungeschönt. Dabei ist er so unsicher wie alle anderen auch. Das ist beruhigend sympathisch. Wenn diskutiert wird, wie Schriftsteller im 21. Jahrhundert noch die Welt abbilden wollen und können – in all der Unübersichtlichkeit – ist Knausgårds Ansatz mehr als nur eine Idee. Er fokussiert das persönliche Erlebnis. Es ist eine Hommage auf das Leben, das in seiner Banalität das Spannendste ist, was ein Mensch erleben darf.

Knausgård, Karl Ove: Sterben. Luchterhand, München 2011.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.