Egan_Black_BoxEs gibt keine Namen. Kein ich. Kein er und kein sie. Nur ein du, und an wenigen Stellen ein ominöses wir. Wir, das ist offenbar ein Geheimdienst, der dich, eine namenlose junge Frau, auf deine Mission fürs Vaterland geschickt hat. Unerkannt sollst du dich einem Gangster nähern, sein Vertrauen gewinnen, mit ihm schlafen − und Informationen beschaffen.Dabei fungiert dein Körper nicht nur als Verführungsinstrument, sondern auch als eine Art menschliche Black Box. Ausgestattet mit Kamera und Schnittstelle speichert er, was du siehst und ermöglicht dir fremde Datenquellen anzuzapfen. Der Geheimdienst kann diese Informationen später verwerten. Vorausgesetzt, dein Körper schafft es zurück. Tot oder lebendig.

Heroismus heute heißt, das Individuum mit seinen banalen Freuden und Leiden zugunsten eines strahlenden Kollektivs zu überwinden.

Soviel zum Plot, der gängige Topoi aus Thrillern und Spionageromanen mit transhumanistischen Visionen über die technische Erweiterbarkeit menschlicher Körper verbindet. Der eigentliche Clou liegt aber in der besonderen Machart dieses Texts, die aus dem Verfahren seiner Entstehung resultiert.

Mit »Black Box« ist der Pulitzer-Preisträgerin Jennifer Egan ein bemerkenswertes Stück Literatur gelungen, das aus Knappheit und Beschränkung einen Vorteil zieht. Am Anfang stand die Frage, »wie man einen literarischen Text schreiben könnte, der sich für die Verbreitung über Twitter eignen würde«. Die Geschichte der Agentin ohne Namen auf Undercover-Einsatz ist also das Ergebnis eines literarischen Experiments.

Die ersten dreißig Sekunden einer Begegnung sind die entscheidenden.

»Black Box« setzt sich zusammen aus Textsplittern, deren Länge durch das Tweet-Format vorgegeben ist. Einhundervierzig Zeichen, mehr ist nicht drin. Dann die nächsten einhundertvierzig Seiten, und so weiter, und so fort.

Dieses Kompositionsprinzip versucht die Erzählung keineswegs zu verbergen, im Gegenteil. Sie gewinnt erst durch die Kristallisation eigenständiger Texteinheiten ihren besonderen Reiz. Denn jedes einzelne Bruchstück, jeder Tweet steht zunächst für sich allein und soll doch Teil eines Ganzen sein. Es muss darum sowohl unabhängig vom Gesamttext funktionieren als sich auch in den Handlungsverlauf einfügen. Die Konsequenz ist eine formale Spannung, durch welche die Erzählung ein ungeahntes Tempo entwickelt. Agentin tot? Vielleicht. Experiment geglückt? Auf jeden Fall.

Jennifer Egan: Black Box. Schöffling & Co.: Frankfurt am Main 2013. 

 

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.