Wenn der Carlsen Verlag mal gerade nicht versucht, graphische Liebhaberprojekte via Crowdfunding zu finanzieren, die dann leider mangels Beteiligung der Fanbase scheitern, wird stets daran gearbeitet, die Lücke zwischen der westlichen Graphic Novel und dem (fern)östlichem Manga zu schließen. Bereits im letzten Jahr gab es mit PIL ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Bemühungen zu bewundern, dieses Jahr wurde auf der Frankfurter Buchmesse nachgelegt: »Wet Moon« heißt der ebenso ambitionierte wie kunstfertige Band des in Deutschland bisher eher unbekannten Manga-Künstlers Atsushi Kaneko und bereits auf den ersten Seiten offenbart sich der Facettenreichtum des Werks: Der zu diesem Zeitpunkt noch namenlose Protagonist jagt in bester Noir-Manier einer Frau im roten Trenchcoat durch die engen Gassen eines japanischen Badeorts hinterher, bis er mit einem Mal die Hände vor das Gesicht schlägt und wie vom Donner gerührt stehen bleibt. Vor ihm hängt in gewaltiger Größe der Mond, der eine exakte Entsprechung des Mondes aus Georges Méliès‘ »Voyage dans la lune« ist, inklusive der Rakete, die in seinem linken Auge steckt.
Mit diesem Bild wird der Grundton des Mangas festgelegt, auf inhaltlicher wie auch auf stilistischer Ebene. Denn zum einen handelt der sehr komplexe und verworrene Plot zu einem gewissen Teil vom Mondfahrtprogramm Japans und auch der Mond selbst spielt eine nicht geringe Rolle. Zum anderen aber erstreckt sich die Verschränkung westlicher und östlicher Motive nicht nur auf die ersten Seiten von »Wet Moon«. Die erzählte Geschichte stellt sich vielmehr als eine Mischung klassischer Genres heraus, die sowohl Elemente des Film Noir als auch der Hardboiled-Romane der dreißiger Jahre vereint.
Der Protagonist, der nach der eindrücklichen Anfangsszene auch beim Namen genannt wird – Inspektor Sata – markiert dabei einen interessanten Prototyp, da er, ganz in Manga-Tradition, als Greenhorn eher unbeholfen umherirrt, während er von zwielichtigen Figuren und aufreizenden Femmes Fatales beeinflusst wird – wie der klassische Noir-Held also; die Welt, durch die er irrt, ist jedoch die Bühne eines Hardboiled-Detektives. So lernt der Leser schnell die »Schattenseite« des nachkriegszeitlichen Japan kennen, wo Korruption und Gewalt den Ton angeben, während die Fassade der Nation gerade den Aufschwung zum Wirtschaftswunder feiert. Und genau hier berühren sich die Handlungsstränge, denn die Frau, die Sata wie besessen verfolgt, ist sowohl Verdächtige in einem Mordfall als auch die Schlüsselfigur in einer Verschwörung, die das Raumfahrtprogramm Japans und somit die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten betrifft.
Ganz im Geiste seiner Noir-Vorgänger entwickelt der Protagonist eine regelrechte Besessenheit, was das Auffinden seiner Femme Fatale angeht, auch scheint mit seinem Bewusstsein nicht alles zu stimmen, denn ein mysteriöser Metallsplitter steckt in seinem Hirn und droht, seine Wahrnehmung immer weiter zu beeinflussen. Was es damit auf sich hat, wird nicht geklärt, zumindest noch nicht. Denn »Wet Moon« – und das mag der bisher größte Wermutstropfen für die Leserschaft sein – ist der erste Teil einer insgesamt dreibändigen Serie, das heißt, es wird noch einige Zeit vergehen, bis man erfährt, welche Geheimnisse wirklich hinter dem Splitter in Satas Kopf und dem Lächeln des Mondes stecken. Bis dahin bleibt nur zu hoffen, dass das Projekt so gut weitergeht, wie es begonnen hat und der Carlsen Verlag weiter daran arbeitet, die Lücke zwischen Graphic Novel und Manga zu schließen. Denn Werke wie »Wet Moon« haben die Aufmerksamkeit eines westlichen Publikums mehr als verdient.
Atsushi Kaneko: Wet Moon. Carlsen: Hamburg 2015.