csm_9783550081163_cover_da807d03caEs war dem Verlag offensichtlich ein reißerisches Anliegen, Titel und Untertitel des Essays von Slavoj Žižek auszutauschen. Aus »Islam and Modernity: Some Blasphemic Reflexions« wurde »Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne«. Man muss jedoch betonen, dass es dem slowenischen Philosophen hier nicht darum geht, zu provozieren (zumindest nicht mehr als sonst) oder zu polemisieren (macht er sowieso). Žižek nimmt den Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo zum Anlass, die grundsätzlichen Unvereinbarkeiten von Christentum und Islam genealogisch zu untersuchen, und das im gegenwärtigen Klima von Bestürzung und Emotionalisierung. Also doch blasphemisch.


Der rund 60-seitige Essay breitet ein komplexes Geflecht westlicher und islamischer Widersprüchlichkeiten aus und es ist, wie so oft, ein großes Vergnügen, Žižeks Gedankengängen zu folgen, doch seine Analysen des islamischen Fundamentalismus und der westlichen Reaktion darauf sind keine bloße Ansammlung von Anekdoten, sondern von einer dringlichen Notwendigkeit. Die Medien haben in der Aufarbeitung des Terroranschlags in Paris auf ganzer Ebene versagt. Alles, was erreicht wurde, waren leere Solidaritätsbekundungen und ein paar symbolträchtige Bilder. Insgeheim fühlte sich jeder in seiner eigenen kleinen Position bestätigt. Und gelernt hat keiner was dabei.

Doch der Bruch zwischen dem Islam und der westlichen Welt sitzt tiefer als man denkt und das Schlimme ist, er scheint unserer Politik mehr als entgegenzukommen. Der Terrorist ist, wie schon im Jahre 2001, der willkommene Feind, der die manchmal so kompliziert erscheinende Welt endlich wieder einfach macht:

Die ekstatischen Momente der Pariser Kundgebungen sind natürlich ein Triumph der Ideologie: Sie vereinen das Volk gegen einen Feind, dessen faszinierende Präsenz vorübergehend alle Gegensätze verwischt.

Vorübergehende Solidarität, dauerhaftes Misstrauen – und das im Zeitalter des angeblich alternativlosen Wirtschaftsliberalismus, der diesen Antagonismus von Islam und Moderne nur befeuert. Blasphemisch ist Žižeks Vorgehen dahingehend, dass er die seltsamen Wechselwirkungen von islamischem Fundamentalismus und der westlichen Welt untersucht, die längst nicht so simpel sind, wie es medial gern suggeriert wird. So schreibt er:

Im Unterschied zu wahren Fundamentalisten sind die terroristischen Pseudofundamentalisten vom sündigen Leben der Ungläubigen zutiefst umgetrieben, fasziniert, bezaubert. Man spürt, wie sie ihre eigene Versuchung bekämpfen, wenn sie den sündigen anderen bekämpfen. […] Die ‚Kraft der Leidenschaft‘ der Terroristen verrät in Wirklichkeit einen Mangel an echter Überzeugung. Wie anfällig muss der Glaube eines Muslims sein, der sich von einer dummen Karikatur in einer satirischen Zeitung bedroht fühlt?

Wenn die Ungläubigen ohnehin zur Hölle fahren, warum sie hassen, anstatt sie zu bemitleiden oder sie vollends zu ignorieren? Der Psychoanalytiker Žižek folgert daraus, dass die Islamisten eben nicht von ihrer eigenen Überlegenheit geleitet werden, sondern an ihrer gefühlten Unterlegenheit leiden, die sich im Hass auf die, insgeheim begehrte, westliche Dekadenz niederschlägt:

Das Problem liegt nicht in der kulturellen Differenz (und dem Versuch, ihre Identität zu bewahren), sondern, ganz im Gegenteil, in der Tatsache, dass die Fundamentalisten bereits so sind wie wir – dass sie unsere Standards insgeheim bereits verinnerlicht haben und sich an ihnen messen.

Der politische Beobachter Žižek wiederum zieht den Schluss, dass der „Aufstieg des radikalen Islamismus […] in genauer Wechselwirkung mit dem Verschwinden der säkularen Linken in den muslimischen Ländern“ steht, mehr noch, dass der radikale Islamismus seine Grundlage im Liberalismus hat, den die westliche Welt als Lebensweise momentan in Stein zu meißeln scheint. Bedingt das eine das andere?

Žižeks Essay schafft es, in wenigen Worten nicht nur jenes ideologische Dilemma griffig zu skizzieren, sondern auch den angeblich „vormodernen“ Islamischen Staat, der dem angeblich toleranten Westen auf brutale Art und Weise irgendwie doch einen Spiegel vorhält. Žižeks fast improvisiert wirkender Stil, schnell und schnörkellos, ist dabei ein ständiger Teaser, der uns keine starren Meinungen oder Dogmen um die Ohren haut, sondern uns provoziert und anregt, an bestimmten Punkten zum Nachhaken verleitet, überhaupt Lust auf weitere, tiefer gehende Lektüre macht. Žižeks »Blasphemische Gedanken« öffnen neue Diskurse und warnen uns gleichzeitig vor dem sentimentalen Narrativ der gängigen Berichterstattung. Ein Büchlein also, das wir bitter nötig haben.

Žižek, Slavoj: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Berlin: Ullstein 2015.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.