Vom Leben im Nachtleben und den damit verbundenen Hoffnungen und Sehnsüchten erzählt Ju Innerhofers »Die Bar«. Erzählerin Mia arbeitet wochenends als »erprobte Barschlampe« in einem Berliner Szeneclub, wo auch ihre beiden Freunde Jan und Viktor feiern. Berauscht von Alkohol und Drogen und getrieben von den Beats versuchen sie der Realität für einen Augenblick zu entkommen. »Die Bar« ist ein Roman über Hedonismus, Ausschweifung und die Suche nach Glück – und über das, was nach Ende des Sommers davon noch übrig bleibt. 

Wir haben Ju Innerhofer über den Dächern Berlins bei Kaffee und Zigaretten zum Interview getroffen.  

Mia, die Erzählerin deines Romans, bezeichnet das Eintauchen ins Nachtleben als »Realitätsflucht«. Vor welcher Realität flieht sie?

Ich glaube, dass Mia auf keinen Fall dieses 9-to-5 haben will, diesen ganz normalen Arbeitsalltag. Sie kommt ja auch gerade frisch von der Uni und ist plötzlich mit diesen ganzen Erwartungen konfrontiert, Generation Praktikum, alle machen irgendwas, meistens nichts richtiges und auch nicht toll bezahlt. Mia will aber den Moment leben, einfach mal da sein, sich treiben lassen und nicht weiter denken müssen. Ich habe zu der Zeit, als ich den Roman geschrieben habe, Robert Pfaller gelesen. Pfaller beschreibt ja solche Situationen, wo man einfach mal loslassen kann. Das war eine große Inspiration für meinen Roman.

Interessant, dass du Robert Pfaller erwähnst. Für Pfaller sind wir heute ja alle der Askese und dem Triebverzicht unterworfen. Also gewissermaßen das Gegenteil vom Hedonismus des Nachtlebens.  

Genau. Ich habe sein letztes Buch gelesen und mich da sofort wiedergefunden. Er schreibt da, dass es in vielen Kulturen solche Möglichkeiten gibt, dass man auch mal unvernünftig sein kann. Aber in dieser Realität leben wir heute nicht mehr. Wir dürfen zum Beispiel nicht mehr Rauchen, alles wird mehr und mehr verboten und reglementiert. Damit wachsen wir auf, und trotzdem gibt es eine große Sehnsucht. Vielleicht auch gerade, weil so viel verboten ist.

Mias Fluchtort vor dieser unangenehmen Realität ist ein Berliner Szeneclub, im Roman schlicht die Bar genannt. Was ist das für ein Ort?

Der Ort, der im Roman beschreiben wird, ist zum größten Teil fiktiv. Du spielst natürlich auf die Bar 25 an, aber es gibt viel mehr Clubs, die einen Ort kreieren, an dem die Realität einfach mal draußen bleibt. Berlin baut ganz große Märchenwelten, große Spielplätze für Erwachsene, die mitreißen und unglaubliche Möglichkeiten eröffnen. Doch nicht nur in Berlin gibt es solche Orte, wo Menschen sich andere Umwelten schaffen, sondern überall.

Gleich zu Beginn des Romans sagt Mia: »Wenn du es reingeschafft hast, bist du in einem Vakuum: Anarchie, Freiheit, Eskapismus, Hedonismus.« Das klingt wie ein Paradies.

Im Prinzip ja. Aber wenn du katholisch bist, ist Paradies jetzt gleicht so behaftet. Ich habe eher das Gefühl, das ist so ein bisschen wie bei »Alice im Wunderland«. Es wird ja auch beschrieben, dass die Tür viel zu klein ist für den Raum, der sich dahinter ausbreitet. Und wenn du hindurch gehst, gelten andere Gesetze und andere Regeln. Aber das »Vakuum« entwickelt sich auch schnell zu einer Abwärtsspirale. Man kommt da nicht mehr raus. Oder will gar nicht mehr raus.

Es gibt eine interessante Nebenfigur, die heißt im normalen Leben Frank und im Nachtleben Christian. 

Diese Figur versucht dadurch die beiden Lebenswelten zu trennen. Wenn sie tagsüber auf der Straße mit dem jeweiligen Namen angesprochen wird, weiß sie sofort, woher sie den anderen kennt. Die Idee ist gar nicht so schlecht.

Mia gelingt diese Grenzziehung zwischen beiden Lebenswelten auch ganz gut. Dennoch geht es auch für sie nicht immer so weiter. Die Bar macht bald dicht, das Closing rückt immer näher. Ist »Die Bar« ein nostalgischer Roman?

Das wurde ich schon öfter gefragt. Ich glaube, dass ich überhaupt kein nostalgischer Mensch bin und dementsprechend auch keine nostalgische Autorin. Man muss sich immer von Altem verabschieden, damit Neues kommen kann. Aber vielleicht sind meine Figuren einen Tick nostalgisch, weil sie in dieser Welt gefangen sind. Sie werden von diesem Ort immer wieder angezogen, wie von einem schwarzen Loch. Aber am Ende wird ja diese Banalität ja klar, wenn Viktor ganz knallhart sagt: Ok, dieser Club macht zu, ich gehe in den nächsten.

Ich frage das auch deshalb, weil Zeitlichkeit im Roman eine große Rolle spielt. Mia sagt öfter, dass die Zeit in der Bar regelrecht aussetzt: »Kein Morgen«. Gibt es ein Gestern?

Gerade als Autorin und Journalistin umgibt man sich ja gern mit Wörtern. Als ich den Roman geschrieben habe, war mir das Wort »gleichzeitig« sehr wichtig. Zu dieser Zeit habe ich viel Tageszeitung gemacht und war unglaublich getrieben von den nächsten News, der nächsten Headline, dem nächsten Aufmacher. Aber das geht uns allen so, wir werden so wahnsinnig überflutet von allem. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass meine Figuren dann einfach nur stehen bleiben und den Moment wahrnehmen wollen, eben nicht an das Morgen denken und sich auch vom Gestern schnell verabschieden.

»Es gibt kein Gestern im Leben der Nacht«, schreibt Rainald Goetz in »Rave«. An einer anderen Stelle heißt es: »Die Schwierigkeit war einfach: wie müsste so ein Text klingen, der von unserem Leben handelt?“ Ist das eine Frage, die dich auch umgetrieben hat?

Ja, mir ist sehr wichtig, dass die Sprache der Geschichte und dem Setting gerecht wird. Dass sie die Schnelligkeit dieser Welt beschreibt. Dass sie das Hier und Jetzt einfängt. Diese Wortfetzen, die sich dann wieder zu Sätzen zusammenfügen. Auch die Anglizismen, die dich aber einfach umgeben, wenn du in Neukölln wohnst und wenn du dort weggehst. Niemand spricht da mit dir Deutsch, sondern das ist ein Mischmasch. Und auch das Digitale spielt da eine Rolle. Skype, SMS, alles wird immer kürzer und reduzierter. Diese digitale Sprache umgibt uns alle und beeinflusst natürlich auch Mia.

Dass die Zeit trotz allem nicht aussetzt, zeigt sich nicht nur am bevorstehenden Closing der Bar, sondern auch an den Figuren und an dem, was mit ihnen passiert. Viktor sagt: »Wir wissen, dass unsere Generation gerne den Tod verleugnet und das Altern abschaffen würde.« Ich möchte das Ende jetzt nicht verraten… 

Am Ende kommt der Moment, wo die irreale Welt von der realen Welt eingeholt wird. Wo klar wird, dass es Sachen gibt, gegen die wir uns nicht wehren können. Dass wir älter werden. Dass wir krank werden. Dass alles vergänglich ist. Das ist der Widerspruch im Nachtleben – nicht daran denken, dass alles ein Ende hat. Alle versuchen gut auszusehen und jung zu sein. Aber das ist auch gut, weil wir keinen Bock darauf haben. Wir haben keinen Bock darauf, älter zu werden.

Ju Innerhofer: Die Bar. Metrolit: Berlin 2013. 

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