B0031Man muss den Verlag Hans Schiler aus Berlin einfach bewundern. Nicht nur, dass es das kleine Team Jahr für Jahr schafft, ein Programm auf die Beine zu stellen, das es durchaus mit dem der „Großen“ aufnehmen kann. Die veröffentlichen Werke haben auch stets eine Qualität, die man sich bei manch anderem Verlag wünschen würde. Diese Qualität reicht von dem Niveau der Texte über die editorische Gestaltung bis hin zur Vermarktung – wobei letztere heutzutage gerade bei Independent-Verlagen vermutlich den entscheidendsten Faktor ausmacht, denn auch der beste Roman geht unter, wenn man ihn nirgendwo kaufen kann.

Insofern ist der neue Gedichtband »Heimatt« von José F. A. Oliver ein Triumph auf mehreren Ebenen gleichzeitig: Angefangen damit, dass das Buch eine Auswahl der frühen Gedichte des jüngst mit dem Basler Lyrikpreis ausgezeichneten Dichters versammelt, könnte man bereits hier das gute, beinahe visionäre Timing des Verlages loben.

Doch auch die Auswahl selbst und die Wahl der Gestaltung scheint ebenso bedacht wie gelungen: Eingeteilt ist der Band in drei Teile, die sich nach den drei Ende der 80er Jahre erschienen Gedichtbänden gliedern. »Auf-Bruch« , »Heimatt und andere fossile Träume« und »Weil ich dieses Land ______ liebe« heißen diese drei Sinnabschnitte, die das Frühwerk Olivers einteilen – schon durch die Namen allein scheint sich eine chronologische Abfolge erahnen zu lassen. Und tatsächlich zeichnet sich bei der Lektüre der Gedichte mit der Zeit ein Bogen ab, der von der Flucht über das Unterkommen bis zum Ankommen reicht. Von der Kindheit wird erzählt (»Ich war ein Kind« ), von der Mutter (»Mutter« , »Frau in Schwarz«) und von der Fremde (»Zuflucht« u.v.a.). Dabei ist die Sprache José Olivers von einer ihresgleichen suchenden Poetik beseelt, die jeden Vers zum Gedicht werden lässt.

Zwar blinken hier und da die damalige Jugend des Dichters und die damit verbundenen Holprigkeiten zwischen den Zeilen hervor – wie beispielsweise die Unart, in manchen Gedichten für jedes neue Wort einen neuen Vers zu beginnen – doch besticht diese Unverblümtheit gerade in ihrer so belassenen, beinahe dokumentarischen Anspruch erhebenden Art auf eine charmante Weise. „Sieh nur“, scheinen Dichter und Herausgeber auf mancher Seite sagen zu wollen, „es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ Und diese Erinnerung ist durchaus angebracht, denn oft genug entsteht der Eindruck, dass es sich bei Oliver, der beim Erscheinen seines ersten Gedichtbands gerade einmal sechsundzwanzig Jahre alt war, genau um solch einen Meister handeln könnte.

Dann ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Nora Gomringer, ihres Zeichens Bachmann-Preisträgerin 2015, im Vorwort von Texten mit „beobachtender Dichte, großer Empathie und voll des Nachdrucks kritischer Haltung“ spricht, oder dass sich Ilja Trojanow als Herausgeber gewinnen lassen konnte. Mit letzterem findet sich am Schluss des Werks auch ein (beinahe zu) langes Gespräch mit dem Dichter, welches im Juni 2015 stattfand und nun in Schriftform vorliegt. Dort erfährt der geneigte Leser einiges weniges über die sehr interessante Biographie José F. A. Olivers und viel über das Dichten und Schreiben an sich.

Dennoch bleibt der Gesamteindruck des Buches und vor allem der damit verbundenen editorischen Arbeit ein durchweg positiver, José F. A. Olivers Gesang ist bedeutender Teil eines internationalen Chors, den Autoren aus der Fremde der deutschen Literatur geschenkt und sie damit farbenfroher gemacht haben. „Heimatt« verdient also jedes Lob – und vor allem jede mediale Aufmerksamkeit, die möglich ist. Auch wenn das bei Lyrik in Deutschland momentan nicht besonders viel sein mag, denn im Land der Dichter und Denker liegt diesbezüglich einiges im Argen. Es bedarf einer neuen Welle literarischer Qualität und vor allem mutiger Verlage, um die intellektuellen Dürreperioden zu überstehen. Gut, dass es Verlage wie Hans Schiler gibt.

 

José A. Oliver: Heimatt. Verlag Hans Schiler: Berlin 2015.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.