Als John F. Kennedy fliegen ihm die Herzen der Fans zu, als Lawinenhund wird er zum Retter in größter Not und manchmal möchte er auch einfach nur weinend zum Auto gebracht werden oder über das deutsche Kino lästern. Der Musiker und Sänger Jens Friebe verbindet die ganz großen Gesten des Pop mit deutschsprachigen Texten, die immer eingängig und manchmal albern, aber niemals banal sind. Freundinnen und Freunden guter Popliteratur ist Friebe zudem durch sein Buch »52 Wochenenden« ans Herz gewachsen. Ein Gespräch über Schlager, Protest und das Faszinosum Ronald M. Schernikau.
Lieber Jens Friebe, der Legende nach verdankt die Welt Deine »Entdeckung« einem gewissen Alfred Hilsberg. Wie ist es dazu gekommen?
Genauer gesagt verdankt sie sie Jochen Distelmeier bzw. ganz genau gesagt Almut Klotz. Sie lud mich ein, ihren »Popchor Berlin« in Hamburg zu supporten, Distelmeier sah das Konzert, rief anderntags Alfred an und der dann mich. Ich schickte ein Demotape nach Hamburg (ja, tatsächlich eine MC, so lange ist’s her) und so fing alles an.
Seit den 70ern ist Hilsberg eine zentrale Figur in der deutschen Musikszene. Er hat die Verbreitung von Punk gefördert und außerdem als Erster von einer Neuen Deutschen Welle gesprochen, 1978 in einem Artikel für die Musikzeitschrift Sounds. Siehst Du Dich als Songschreiber in der Tradition von Punk und NDW, gerade auch im Bezug auf Deine Texte?
In gewisser Weise ja. Ohne Bands wie Foyer des Artes und F.S.K. hätte ich, wenn überhaupt, sicher später und vielleicht auch anders deutsch getextet. Musikalisch stecken mir wohl eher ewig die englischen 80er in den Knochen
Ein anderes Etikett, das Dir immer wieder angeheftet wird, ist Schlager. Als ich kürzlich einem Freund erzählte, dass ich gern ein Interview mit Dir machen würde, meinte der etwas abschätzig: »Jens Friebe macht doch Schlager«. Nerven Dich solche Vergleiche oder sind sie vielleicht gar nicht so unzutreffend?
Eine Bekannte von mir kaufte in einem Sexshop mal einen Dildo für ihre Freundin. Als der Verkäufer ihr weiterführende Fragen stellte, sagte sie: »Der ist nur für meine Freundin.« Der Verkäufer antwortete: »Wir verkaufen hier NUR Produkte an ›Freundinnen‹.« So ist es bei mir mit dem Schlagervergleich auch. Ich kriege ihn immer nur bestellt. Das nervt schon ein bisschen.
Schlager hat ja kein besonders gutes Image. Andererseits gibt es kluge Menschen wie Ronald M. Schernikau, auf den sich Dein Song »Königin im Dreck« bezieht, die ganz begeistert sind vom Schlager. Über den Schlager der DDR schreibt Schernikau: »Kann es intelligente Dummheit geben?« Was ist das Gute am Schlager?
Der Schlager ist Schlichtheit und Süße. Die Ressentiments gegen ihn richten sich oft unterschwellig gegen Unmännlichkeit und Unterschicht. Ein schwuler Kommunist wie Schernikau muss ihn also praktisch verteidigen. Die meisten Schlager sind, wie die meisten Lieder überhaupt, schrecklich. Was an guten Schlagern gut ist, kann man nur am Einzelfall beschreiben.
Wie bist Du auf Schernikau aufmerksam geworden und was fasziniert Dich an seiner Person?
Ich las in der Konkret einen Artikel über die Schernikau-Biographie von Matthias Frings. Daraufhin habe ich mir seine Bücher besorgt. Natürlich hat mich seine Geschichte fasziniert, die Mischung aus Tuntendiva und Parteisoldat, die Einbürgerung in die DDR kurz vor ihrem und seinem eigenen tragischen Ende usw. Vor allem hat mich aber seine Schreibe begeistert, sie war so irr- und scharfsinnig und gleichzeitig so nett und albern. Es gibt einen sehr charmanten und klugen Klappentext für die »Legende« von Jelineck, in dem sie Goetz und Schernikau vergleicht und der mir sehr aus der Seele spricht. Schernikau gehört für mich in eine Reihe mit Goetz und Fichte.
Ist Schernikau auch ein Vorbild im Spiel mit queerer Ästhetik?
Für mich persönlich? Nein. Nicht im Sinne der physischen Inszenierung zumindest. Auf der Ebene einer queeren Textästhetik schon eher. Aber das kann ich hier wirklich nicht ausführen.
Schlagertexte werden oft als inhaltsarm und belanglos abgetan. Dagegen singst Du: »Ein Lied ohne Botschaft ist wie ein Land ohne Botschaft, eine Stadt ohne Plan, und was fängt man damit an?« Ein Aufruf zum politischen Liedermachtertum à la Degenhardt und Wader oder zur Politisierung der Popmusik in toto?
Das Lied war eigentlich schon mehr ein Witz als ein echtes Statement. Am ehesten richtete es sich gegen Lieder, die Botschaften simulieren. So tiefsinntriefender Unsinn wie »Freiheit« von Westernhagen. Auf ihn spielt die zweite Strophe ja auch an. Aber ich muss sagen, »Lied ohne Botschaft« ist für mich sehr weit weg. Ich spiele es auch eigentlich nie mehr.
2011 hat die Spex einen Protestsong-Wettbewerb abgehalten. Du hast im vergangenen Jahr mit Christiane Rösinger, Andreas Spechtl und Thomas Meinecke über die Gegenwart dieser musikalischen Form diskutiert. Erleben wir gerade ein Revival?
Wo es Protest gibt, werden sich Songs finden. Einen direkten Kurzschluss zwischen Song und Protest, bei dem der Song eins zu eins die Forderung des Protests versifiziert und auf ihn identitätsstiftend zurückwirkt, so im Sinne Pete Seegers, sehe ich heute nicht. Ersehne ich auch nicht. Ich liebe Robert Wyatt, M.I.A. und die Goldenen Zitronen, aber ich bin ganz gegen eine normativen Kunstkritik, die irgendwelche radikalen pollitischen Standpunkte von Bands fordert, die sie selbst theoretisch gar nicht entwickeln hilft. Die Autonomie des Kunstwerks muss gegen blind aktivistische Relevanzverknalltheit genauso geschützt werden wie vor marktliberaler Verwertungslogik. Trotzdem soll jedes Lied natürlich auf seine ureigene Art die Seelen verschönern und so den Sozialismus vorbereiten. Es ist schon alles nicht so einfach.
Deine Texte sind oft anspielungsreich und mehrdeutig, manchmal wirst du aber auch sehr explizit, etwa in dem Song »Theke mit den Toten«. Ist es schwieriger, einen Song zum Thema Vegetarismus zu schreiben als einen Gastbeitrag für die FAZ?
Ja, schon.
Christiane Rösinger, Markus Berges, Sven Regener sowieso, zuletzt auch Frank Spilker und Florian Weber: Die Liste von Popmusikern, die Romane oder Erzähltexte schreiben, wird immer länger. Wann ist mit der Fortsetzung zu »52 Wochenenden« zu rechnen?
Eine Fortsetzung von »52 Wochenenden« wird es nicht geben. Vielleicht aber unter Umständen, so Gott will irgendwann irgenwie irgendwas anderes. Ich suche noch nach einem Strukturprinzip, das formal maximal streng und inhaltlich maximal frei ist. So wie «52 Wochenenden« also. Nur nicht »52 Wochenden«.