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Youtube-Stars, Blogger und Doku-Soap-Darsteller: Alles unsägliche Zeitgenossen, denen das Geschenk des Lebens verwehrt sein sollte. So die Einschätzung des Mörders, der im fünften Band der Krimi-Reihe »Die Menschen, die es nicht verdienen« von Hjorth&Rosenfeldt sein Unwesen in der schwedischen Medienszene treibt.

Sternchen um Sternchen des Trivial-Fernsehens sowie der digitalen Parallelwelt sterben per Bolzenschuss, bis die Strippenzieher und Realisatoren des kulturellen Untergangs ebenso gerichtet werden. Der Tod klettert die Verblödungspyramide Stück für Stück nach oben. Ein Rundumschlag. Brachial und nordisch blutig.

Der Mörder, ein Retter der Hochkultur? Einer, der akademische Bildung als absoluten Wert, als Identität der aufgeklärten und selbstbestimmten Gesellschaft begreift? So zumindest sind die Gedanken des Mannes einzuordnen, der nicht bestandene Wissenstests auf die Rücken seiner Opfer tackert.

Formal ist dem erfolgreichen Autorenduo zu unterstellen, dass ihre Krimis am Reißbrett entstehen. Das Prinzip ist bekannt und bedarf keiner Erklärung. Den Leser begleitet eine Spezialeinheit – die schwedische Reichsmordkommission – die in Fallstruktur den Schuldigen aufzuspüren versucht, bevor weitere Tote zu beklagen sind.

Dass den Polizisten überdurchschnittliche berufliche Fähigkeiten zu attestieren sind, sie aber ihr Privatleben konsequent an die Wand fahren, ist das eigentlich Spannende und gleichzeitig auch das horizontal Narrative. Jeder Band der Reihe endet zwar mit der Auflösung des Krimi-Plots, doch das private Chaos der Ermittler existiert in immer tiefer greifenden Abgründen weiter – und wird anhand des Elements des Cliffhangers auf die Spitze getrieben.

Herausstechend zu erwähnen ist die Figur des Kriminalpsychologen Sebastian Bergmann. Er ist das zentrale Meisterstück der Autoren. Für einen zutiefst unsympathischen Menschen des Lesers Empathie zu entfachen – ein Unterfangen, das, wenn es denn gelingt, nahezu immer ein Triumph des Erzählens ist. Es ist ein Faszinosum, diesen abstoßenden Mann zu beobachten, der, trotz seiner Berufung, psychisch alles andere als gesund einzustufen ist und gegen alle Moral und Werte verstößt, die er in einer idealen Welt verkörpern sollte.

Wer nur eine Episode Dr. House gesehen oder Sherlock Holmes auf einem seiner Fälle begleitet hat, der erkennt rasch das Puzzle aus figurativen Prototypen, die dazu beigetragan haben, den Protagonisten Bergmann zu zeichnen. Nichts neues und doch erstaunlich interessant. Worin aber liegt der Unterschied zu anderen Krimi-Reihen, die in den Bestsellerlisten nicht ganz so weit oben stehen wie Hjorth&Rosenfeldt?

Mit Sicherheit spielt die hervorragende Psychologisierung der Figuren eine Rolle. Jeder der fünf Ermittler ist mehrdimensional gezeichnet und verfügt über das essenzielle Geheimnis, das eine erfolgreiche Figur emotional an den Leser bindet. Aber gerade im aktuellen Band ist die Geschichte hinter dem Mord das beeindruckende und qualitativ abgrenzende Merkmal.

Es ist die Einbettung eines andauernden Generationenkonflikts, der zugleich so viel mehr ist als das. Der Untergang des Wissens durch die Banalisierung medialer Unterhaltungskonzepte. Die Generation »alles, ja wirklich alles muss zeit- und ortsunabhängig und am besten kostenlos und über mein Smartphone, das mich am besten versteht, verfügbar sein« steht der antiquierten Generation »die Tageszeitung, arte die Universität und eine Tracht Prügel der Eltetn haben mich kultiviert« gegenüber. Ein kluger Schachzug, den Krimi eine Debatte mit Aktualitätsnachweis führen zu lassen. Ganz nach Umberto Ecos Geschmack:

Im Grunde sind Krimis die Bücher mit dem größten Realitätsgehalt.

Die Furcht der Alt-Akademiker, die jahrhundertalte Tradition der Wissensvermittlung drohe durch Internet und Trash-TV zu verrohen, bzw. zu verschwinden, wird hier detailliert thematisiert. Und es gelingt, was mit der Figur des Kriminalpsychologen Bergmann ebenso funktioniert: Empathie mit dem, der diese Furcht der Öffentlichkeit anvertraut. Nur ist das eben ein Mörder.

Sicherlich steht außer Frage, dass Mord und Totschlag indiskutable Elemente einer Argumentationskette sind, die den eigenen Standpunkt verfestigen sollen. Dennoch ist nicht zu verheimlichen, dass die schriftlichen Manifeste des Mörders logische und vertretbare Blickwinkel vertreten.

Schon ganz andere Zeitgenossen haben auf diesen Konflikt ähnlich drastisch hingewiesen. Jedoch ohne kriminell Exempel zu statuieren. So schrieb z.B. der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog in seinem Aufsatz »Kein Schwachsinn« in der Süddeutschen Zeitung bereits 1996:

Kein Schwachsinn, keine Perversion, keine noch so abwegige Marotte, die nicht in extenso bunte Seiten und Bildschirme bevölkern würde. Jede einfache Zapp-Reise bestätigt den Befund. Diese unendliche, ausweglose, schleichende Banalisierung und Trivialisierung macht die Hirne kaputt.

Es ist festzuhalten: Hjorth&Rosenfeldt sind dann am besten, wenn sie einen kritischen Standpunkt in ihre Krimis einweben. Einen grinsenden tonnenschweren Anker der, ganz egal wie der Rezipient dazu stehen mag, die Auseinandersetzung mit der Thematik einfordert.

Der Mangel an Roman-Autoren, die sich nicht der Flucht postmoderner Erzählstrukturen als Ausweisung des entmündigten Subjekts hingeben, ist bekannt und bedauerlich. Geradezu erfreulich, dass das Gerne Krimi Debatten mit realem Zündstoff auf solch intelligente Weise zu verarbeiten weiß.

 

Hjorth&Rosenfeldt: Die Menschen, die es nicht verdienen – Ein Fall für Sebastian Bergmann. Wunderlich: Tübingen 2015.

 

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