Wir leben in unruhigen Zeiten. Man muss nur kurz den Fernseher einschalten um sich dessen sicher zu sein. Rund um den Globus flammen nationale und ethnische Konflikte ebenso auf wie jene auf sozialer Ebene. Die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander und gerade in Ländern, die an Schwellen- und Dritte-Welt-Länder grenzen, wird das Elend der Einwanderer und Flüchtlinge immer offensichtlicher. Glücklicherweise bietet unsere Gesellschaft genügend Möglichkeiten zur Ablenkung, sei es durch Konsum, in kreativem Schaffen oder etwa mit dem Genuss eines guten Buches. In dieser Hinsicht war das Jahr 2012 wieder ein Jahr voller interessanter Neuerscheinungen, darunter auch zahlreiche Erstlingswerke. Von schizophrenen Vogelbeobachtern konnte man lesen, ebenso wie von jungen Aserbaidschanerinnen. »In den Häusern der Barbaren« von Héctor Tobar ist ebenfalls ein Erstlingswerk, fällt aber aus der Reihe. Wieso?

Es beginnt mit der Biographie des Autors: Héctor Tobar ist kein junger Mann in den Zwanzigern, so wie es bei den meisten anderen »Newcomern« der Fall wäre, sondern feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Ganz unbekannt ist er ebenfalls nicht, 1992 erhielt er für seine Reportage über die Ghetto-Aufstände in Los Angeles den Pulitzer-Preis. Sein erster Schritt in Richtung Prosa ist dementsprechend nicht frei von Gesellschaftskritik, deshalb sei an dieser Stelle gesagt: Wer Unterhaltung sucht, eine fiktionale Erzählung, nach der man keinen bitteren Nachgeschmack im Mund hat, der sollte sich eventuell nach etwas leichterer Kost umsehen.

»In den Häusern der Barbaren“ ist ein Buch, das einen unbefriedigt zurücklässt, obwohl es nicht schlecht geschrieben ist. Es ist vielmehr der beschriebene Sachverhalt und das Wissen, dass nur eine schmale Linie zwischen der Fiktion und der realen Welt verläuft. Beginnt die Handlung noch in einem regelrechten Paradies, so zeichnet sich der Verfall direkt auf Seite zwei ab. Erzählt wird die Geschichte der Eheleute Maureen und Scott Thompson-Torres, die mit ihren Kindern in Kalifornien das typische Leben neureicher Amerikaner führen. Bereits von Beginn an scheint ein unsichtbares Damoklesschwert über der Idylle zu hängen, eine der ersten Informationen, die der Leser erhält, ist dass der Familienvater aus finanziellen Gründen den Gärtner entlassen hat und nun den Rasen selbst mähen muss, mehr schlecht als recht. Durch die Abwesenheit des Gärtners beginnt auch der Tropengarten in der sengenden Hitze dahinzusiechen, was dem familiären Klima ebenfalls nicht sonderlich gut tut. Nach einem Streit, in welchem Scott seine Ehefrau von sich stößt und sie tragischerweise auf den gläsernen Couchtisch fällt, hängt der Haussegen endgültig schief. Am nächsten Morgen verlassen beide Elternteile heimlich das Haus, jeder in eine andere Richtung und jeder in dem Glauben, der andere würde bei den Kindern bleiben. So kommt es, dass die Kinder alleine zurückbleiben, zusammen mit der Haushälterin Araceli, die im weiteren Verlauf zur  Hauptfigur avanciert.
Was als kleiner Irrtum beginnt, weitet sich schnell zu einem Katz-und-Maus-Spiel aus, mit fatalen Folgen für alle Beteiligten. Das mag jetzt vielleicht noch ein wenig nach einer locker-spannenden Komödie klingen, doch während die Handlung immer wieder zu Gunsten der Figuren in den Hintergrund tritt, ist die Beschreibung der sozialen Ungerechtigkeit omnipräsent. Ob im Neureichen-Paradies, in welchem Scott und Maureen wohnen, in den Straßen von Los Angeles, oder den Sozialbausiedlungen der Vorstädte: Der Blick des Lesers wird auf die kleinen Schicksale gelenkt, die ansonsten immer durch die Raster unserer Gesellschaft fallen. Hier spürt man förmlich Héctor Tobars journalistischen Scharfsinn, mit dem er in die dunkelsten Ecken der Randexistenz vordringt und dabei kein Detail auslässt; uns deutlich spüren lässt, welchen Preis unser seichtes, problemloses Leben hat.

Es werden deutlich die Menschen gezeigt, die ihr Leben lang schuften, ohne von uns bemerkt oder honoriert zu werden, dabei ist Araceli nur eine von vielen. Ihre bedingungslose Aufopferung (wenn auch immer mit einem etwas mürrischen Unterton) macht sie zu einer perfekten Ikone der mexikanischen Arbeiterklasse in Amerika, zur Protagonistin fehlt es aber irgendwie. Sie wirkt hölzern, ihre Entschlüsse sind größtenteils nicht nachvollziehbar und auf Grund ihrer toughen Art fällt es schwer, Mitleid mit ihr zu empfinden. Insgesamt liegt hier die Schwäche von »In den Häusern der Barbaren«, wenn man den eine aufzeigen müsste. Die meisten Figuren sind zu grell gezeichnet, zu unwirklich, wie dem mexikanischen Theater entsprungen, Klischees  werden ständig bedient. Der Informatiker Scott ist ein blasser Typ, seine Kollegen ebenfalls und außerdem teigig, die Mexikaner sind größtenteils folkloristisch und/oder bunt gekleidet, die reichen Amerikaner verweichlicht, die Gastarbeiter gestählt. Für die Bezeichnung der Hautfarben Aracelis und ihrer Landsleute wird auf ein Farbspektrum zurückgegriffen, das von »Karamell-Braun« über »Haselnuss-Braun« bis zu »Schokoladen-Braun« reicht, hellhäutige Mexikaner scheint es nicht zu geben, abgesehen von Scott, der mexikanische Wurzeln hat, dieser ist aber schließlich Informatiker und damit blass. Manche Figuren wirken so aufgesetzt und falsch, dass sie schlicht und ergreifend ihre Glaubwürdigkeit verlieren. So der Bezirks-Staatsanwalt Ian Goller, der in der zweiten Hälfte des Buches  eigentlich zu Aracelis größtem Gegenspieler wird: Tobar macht ihn zu dem wohl ersten Juristen in der Literatur, der in seiner Freizeit surfen geht, Muschel-Armbändchen trägt und im Gerichtssaal von den Wellen träumt. Ein solch kontroverses Wesen ernstzunehmend, fällt selbst in Kalifornien schwer.

Nun machen diese etwas unbeholfen charakterisierten Figuren die Geschichte nicht gleich schlecht, sie stören allerdings den Lesefluss und den Genuss an den Details, die im Übrigen sehr gelungen beschrieben werden. Ebenso stört die Anwandlung des Autors, pro Seite eine Hand voll spanischer Phrasen einzustreuen, beziehungsweise die Unfähigkeit des Lektorats, diese nicht zu übersetzen. Das ist natürlich eine Frage des Geschmacks, aber der Rezensent zieht es vor, ein Buch zu lesen, welches er versteht, ohne alle fünf Minuten ein deutsch-spanisches Wörterbuch zu konsultieren.
Zum Fazit bleibt zu wiederholen: »In den Häusern der Barbaren« ist ein solider Roman, der weder mit der Handlung noch sprachlich überrascht und sich abgesehen davon mit den Charakteren ein wenig schwer tut. Wer also nach wie vor reine Unterhaltung sucht, der sollte hier lieber nicht verweilen. Jenseits dessen ist der Roman aber auch eine beißende Gesellschaftssatire, ein makelloser Spiegel für unsere Welt voller Makel. Wer also dürstet, mehr über die Wirklichkeit da draußen zu erfahren, wer sich nicht mit einseitigen Berichterstattung der westlichen Medien zufrieden geben will, dem sei Héctor Tobars »In den Häusern der Barbaren« wärmstens ans Herz gelegt.

Héctor Tobar: »In den Häusern der Barbaren«. Aus dem Spanischen übersetzt von Ingo Herzke. Piper Verlag: München 2012.

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