Zu den einfachsten Grundübungen liberaler Sophistik gehört das Herausstellen der tatsächlichen oder vermeintlichen Ähnlichkeiten zwischen faschistischen und sozialistischen, respektive »rechten« und »linken« Systemen. Denn die Fakten liegen ja scheinbar auf der Hand. Haben Stalin und Mao nicht weit mehr Menschen auf dem Gewissen als Hitler und Mussolini? Und ist der Nationalsozialismus nicht in erster Linie ein national verbrämter, mit Antisemitismus und Rassenwahn angereicherter Sozialismus? Wer so »argumentiert«, kann sich in Deutschland, wo der Antikommunismus von jeher zum guten Ton gehört, des Beifalls sicher sein. Für Fortgeschrittene empfiehlt es sich indes, dem Ressentiment einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Ein ganzer Zweig der politischen Theorie lebt davon, ausgehend von Hannah Arendt auf die strukturelle Homologie zwischen den beiden politischen Extremen hinzuweisen. Das Zauberwort dafür heißt »Totalitarismus«, und der ist, das weiß heute jedes Kind, böse. Womit wir das Feld der politischen Auseinandersetzung verlassen haben und uns nunmehr im Sumpf der Moral befinden. Die Chancen, da wieder herauszukommen, stehen schlecht.

Bis heute ist der Vorwurf, jemand vertrete eine totalitäre Position, eine höchst effektive ideologische Waffe. Wo immer Kritik laut wird, die ihren Namen verdient, lässt sich ohne große Mühe sogleich die Gefahr des Totalitarismus an die Wand malen und schon treten die Argumente des Gegners in den Hintergrund. Es zählt von nun an die bloße moralische Empörung. In diesem Zusammenhang sind Slavoj Žižeks »Interventionen zum Ge- und Missbrauch« des Begriffs »Totalitarismus« zu lesen, erschienen in der Theoriereihe des Hamburger Laika Verlags. Žižek schreibt, dass der Erfolg des Totalitarismustabus das »deutlichste Anzeichen der theoretischen Niederlage der Linken« ist, welche die Prämissen der liberalen Demokratie längst verinnerlicht habe. Die Anerkennung der liberal-demokratischen Spielregeln führe aber dazu, dass auch jedem emanzipatorischem Anspruch von vornherein der Zahn gezogen werde. Wirklicher Dissens sei nur noch um den Preis der Stigmatisierung möglich. Der zugegeben radikale Ausweg, so Žižek, könne deshalb aber allein darin bestehen, von Anfang an nicht mitzuspielen, ja die Spielregeln selbst zurückzuweisen:

Ist doch egal, wenn jemand beschuldigt wird, »antidemokratisch« oder »totalitär« zu sein.

So gesehen ist es nicht inkonsequent, dass die spitzen Zurückweisungen der Totalitarismus-Theorie nur wenig Raum in Žižeks Argumentation einnehmen. Irritierend ist es, nicht zuletzt aufgrund der Titelwahl, dennoch. Und auch schade, denn wie Žižek da auf wenigen Seiten die Grundüberzeugungen auch vieler linker Zeitgenossen auseinander nimmt, ist natürlich provokant. Vor allem aber gut lesbar und unerlässlich. Und der große Rest des Buchs? Mit Hegel, Marx und Lacan streitet Žižek hier für das, was sein Genosse im Geiste Alain Badiou die »kommunistische Hypothese« getauft hat. Nicht zuletzt aufgrund des übergeordneten Rahmens erscheinen Žižeks Ausführungen hier aber weniger sprunghaft und assoziativ als anderswo. Die einzelnen Kapitel sind thematisch klar voneinander abgegrenzt und in sich argumentativ geschlossen. Jedoch widmen sie sich mehr oder weniger bekannten Sujets, weshalb Wiederholungen nicht ausbleiben. Vor allem das Kapitel zum Stalinismus greift auf Motive und Gedanken aus anderen Veröffentlichungen zurück, beziehungsweise umgekehrt, denn »Totalitarismus« ist im englischen Original bereits 2001 erschien – ein Alter, das dem Buch kaum anzumerken ist. Wenngleich also auch nicht alles ganz neu und unbekannt ist, sollten interessierte Leser unbedingt einen Blick riskieren. Žižeks Projekt einer Ideologiekritik der (Post-)Moderne ist allen Wiederholungen und Redundanzen zum Trotz einer der radikalsten und originellsten Ansätze aktueller linker Theoriebildung.

Slavoij Žižek: Totalitarismus. Fünf Interventionen zum Ge- und Missbrauch eines Begriffs. Laika: Hamburg 2012.

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