Es geht los, wie kein Buch über eine deutschsprachige Rockband beginnen sollte: mit der CDU. Kanzlerin Angela Merkel hat gerade bei Campino angerufen, sich für die fürchterliche Cover-Version des »Toten Hosen«-Hits »Tage wie diese« nach dem Wahlsieg 2013 entschuldigt und die ultraerfolgreiche Komposition der Band gelobt: »Sie haben da so ein schönes Lied geschrieben.« Für die »Toten Hosen« ist dieser Anruf ein großes Problem, schließlich versteht sich die Band doch als Punk-Rock-Gruppe mit linkem Hintergrund, die einstmals gar außerhalb des gesellschaftlichen Konsenses musizierte. 2013 ist das jedoch vergessen: »Die Toten Hosen« werden auf dem Oktoberfest gefeiert, Jungliberale tragen T-Shirts mit Songzitaten, die Kanzlerin lobt nun die Musik.
»Spiegel«-Redakteur Philipp Oehmke hat pünktlich zum 32-jährigen Bandbestehen ein eindringliches und entwaffnendes Bandportrait über »Die Toten Hosen« geschrieben. Oehmke kommt der Band sehr nahe, sitzt sogar bei der legendären »Blauen Stunde« am Tisch. Der Journalist begleitet Bandgründer Campino und Andi zu deren Elternhäuser, futtert mit Gitarrist Breiti Käsebrötchen und trinkt mit Schlagzeuger Vom in dessen Reihenhaus ein paar Bierchen.
Punk als historisches und soziologisches Phänomen ist von Klischees überzogen: Es sind immer die gleichen Geschichten, die aus England erzählt werden.
Das Besondere dieser leichtfüßigen Biografie ist jedoch nicht die Band, sondern der Autor. Oehmke ist mit Moritz von Uslar befreundet, und an dessen faszinierenden Reportage-Roman »Deutschboden« erinnert nun auch »Am Anfang war der Lärm«. Ohemke ist sehr präsent, schreibt aus der Ich-Perspektive, reflektiert stets, schreibt eine »teilnehmende Beobachtung«. Aus dieser Erzählhaltung entsteht ein vielschichtiges, lebendiges Buch: maximal subjektiv, unmittelbar, charmant.
Es kommen Gegner zu Wort, Weggefährten, Freunde und auch ein verbitterter Produzent. Werkstattgeschichten und Konzerterinnerungen werden erzählt, der banale Bandalltag wird diskutiert, vergessene Fotos werden gezeigt, die Ängste der Eltern und deren Gesellschaftsentwurf portraitiert.
Die Musik der ehemaligen Punk-Rock-Band steht da an untergeordneter Stelle. Vielmehr wird ein Quintett 50-jähriger Männer charakterisiert, das mittlerweile gemeinsam ein mittelständiges Unternehmen führt und auf ihrem Weg zum wirtschaftlichen Erfolg einige Rock’n’Roll-Abenteuer erlebt hat. Anekdoten werden ausgelassen, es wird mit einem Zoom gearbeitet. Oehmke ist nah dran, und erzählt doch die Geschichte eines bundesdeutschen Phänomens. Wer vor dem Lesen kein Fan der »Toten Hosen« war, der wird es auch nach der Lektüre nicht sein. Doch er versteht das Land besser, das eine solche Band hervorbringen kann.
Philipp Oehmke: Am Anfang war der Lärm. Die Toten Hosen. Rowohlt: Hamburg 2014.