Slavoj Žižek, das enfant terrible der Philosophie, meldet sich mit einem Paukenschlag zurück: „Was ist ein Ereignis?“ heißt das neue Buch, das in der Sachbuch-Abteilung des Fischer Verlags erscheint. Schon der Titel macht klar, dass es hier nicht um irgendwelche Haarspaltereien auf metaphysischer Ebene gehen soll, sondern um Grundsätzliches. Sollte der geneigte Leser sich bereits an dieser Stelle fragen: „Who the f*ck is Žižek?“, so findet er im Folgenden eine kleine Einführung:
Slavoj Žižek ist ein slowenischer Medienphilosoph, Kulturkritiker und Vertreter der Psychoanalyse von Jaques Lacan. Er liebt Filme von Alfred Hitchcock und David Lynch im selben Maße, wie er Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Martin Heidegger liebt. Seine häufig etwas unorthodox formulierten Thesen erlangen insofern enorme Bedeutung in der heutigen Zeit, als dass er sie nicht im Theoretischen belässt, sondern auf popkulturelle und gesellschaftliche Phänomene überträgt. Obgleich oftmals kritisiert, gilt Žižek inzwischen als der „Elvis der Kulturtheorie“ (The Chronicle of Higher Education).
Vor allem die beiden von Sophie Fiennes gedrehten Dokumentarfilme, The Perverts Guide to Cinema und The Perverts Guide to Ideology brachten Žižeks Theorien einem breiten Publikum näher, sodass man sich fortan im Grunde nicht mehr fragen muss, wer eigentlich Žižek ist.
Zwar ist der neueste Streich des exzentrischen Denkers von der Fragestellung her deutlich mehr im philosophischen Bereich anzusiedeln – und nicht wie die Filme im kulturtheoretischen oder psychoanalytischen – doch Žižek wäre nicht Žižek, wenn er nicht bereits im ersten Kapitel (das Buch ist interessanterweise auch in Haltestellen gegliedert, was für ein Zufall, nicht wahr, Wagenbach?) das Feld der Philosophie verlassen würde, um in anderen Disziplinen Antworten auf seine Fragen zu suchen. Dass er dabei geordnet und koordiniert vorgeht, überrascht im Angesicht der schieren Fülle an Querverweisen und Zitaten. Hinter dem riesigen Cluster aus Betrachtungen steckt letztendlich doch ein genaues Konzept. In insgesamt sechs Kapiteln (zuzüglich Pro- und Epilog) greift „Was ist ein Ereignis?“ zuerst kulturhistorische und religiöse Phänomene auf, dann fernöstliche und westliche Philosophien, und endet schließlich mit psychoanalytischen und gesellschaftskritischen Problematiken.
Nun weiß der Žižek-bewanderte Leser bereits, dass die Bücher des kauzigen Genies alles andere als leichte Kost sind. Selbst die oben genannten Filme erschließen sich einem ohne grundlegende Kenntnisse in der Philosophie und der Psychoanalyse nicht völlig, doch anders als andere, vergleichbare Schriften, lässt sich „Was ist ein Ereignis?“ selbst dann rezipieren, wenn man nicht jeden Satz versteht. Das mag zum einen an der Struktur des Werkes liegen, durch welche man jedes Kapitel in viele kleine Abschnitte unterteilen kann, die unabhängig voneinander agieren, zum anderen spielt jedoch auch Žižeks Argumentationsweise eine große Rolle. Immer wieder überträgt er einen – in der Theorie noch so komplizierten – Sachverhalt auf eine einfache, da bekannte (pop)kulturelle oder politische Erscheinung. Der Erfolgshit „Gangnam Style“ des Südkoreaners Psy wird zum Sinnbild des lacanianischen Triebs, Kathryn Bigelows Film Zero Dark Thirty zur exzessiven Darstellung des Moralverfalls im 21. Jahrhundert und die EU-Forderungen an Griechenland zum Paradox des Über-Ichs (genauer also zu der Figur des sadistischen Lehrers, der den Schülern Aufgaben stellt, an welchen sie nur scheitern können).
Natürlich sind genau diese Bezüge und Vergleiche einer der Hauptpunkte in der Kritik an Slavoj Žižek, gepaart mit dem Vorwurf, er würde Probleme zu stark vereinfachen, um zu polemisieren. Jedoch muss man sich gleichzeitig vor Augen halten, welchen Stellenwert die „reine“ Philosophie in diesen Tagen innehat. Vorbei sind die Zeiten, in denen Studenten zur Unterhaltung die „Dialektik der Aufklärung“ oder „Das Ornament der Masse“ lesen. Die heutigen Bestseller unter den „Denkern“ heißen Charlotte Roche und Thilo Sarrazin. Und genau deshalb brauchen wir Žižek, der die differenzierte Denkweise einer längst vergessenen Ära hochhält und dabei dennoch – oder gerade deswegen – auch publikumsverträglich ist. „Was ist ein Ereignis?“ ist eine philosophische Schrift, so viel steht fest. Doch gleichzeitig liegt hier ein Werk vor, das auch unterhalten kann, ohne die eigene Agenda dabei zu verraten. Um eine charakteristische Passage aus dem Prolog zu zitieren:
Die Reise wird holprig, aber aufregend, und es wird viele Erklärungen auf dem Weg geben.
In diesem Sinne kann man dem Leser bei der Lektüre nur eines wünschen: Gute Reise!
Slavoj Žižek: Was ist ein Ereignis? Fischer: Frankfurt am Main 2014.