Zugegeben, bis der 14jährige Protagonist in Louis Jensens Roman »33 Cent – um ein Leben zu retten« auszieht – was in seinem Fall bedeutet, dass er sich zusammen mit Freundin Anne in einem gestohlenen Supermarkt-Lkw voller Lebensmittel auf den Weg gen Marokko macht – dauert es eine Weile. Aber der Reihe nach. Mit dem Wissen, dass man nur 33 Cent am Tag braucht, um ein afrikanisches Kind vor dem Verhungern zu retten, fängt für ihn, der gleichzeitig auch Erzähler ist, alles an.

Er beschließt zu handeln. Zunächst bewegt er sich dabei noch auf der legalen Seite, verkauft die Hälfte seiner eigenen Sachen, sammelt Spenden, fängt an, in einem Supermarkt zu arbeiten und geht nur noch jeden zweiten Tag zur Schule, um mehr Geld verdienen zu können. Aber dabei bleibt es nicht, es folgen Ladendiebstähle, schließlich beklaut er auch seinen Vater, einen Richter, indem er Geld von dessen Konto nach Afrika überweist.

Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass das, was er tut, gesetzeswidrig ist. Er beschäftigt sich mit den Gesetzen, gegen die er verstößt, überhaupt mit der Frage nach Gerechtigkeit. Ist es in Ordnung zu stehlen, wenn man dadurch einem anderen Menschen das Leben rettet? Darf man das Falsche tun, um dem Richtigen auf die Sprünge zu helfen? Diese Fragen, diese Auseinandersetzung, sie zählt zu den Stärken des Textes:

Stehlen ist falsch.

Sehr falsch.

Ich tue es nur, weil es nötig ist. Wenn etwas sehr nötig ist, dann darf man auch das Falsche tun. Dann ist es richtig, das Falsche zu tun. Dann ist das gerecht!

Und er macht weiter. Weil er davon überzeugt ist, das Richtige zu tun, weil er von denen nimmt, die im Überfluss leben, um es den Armen zu geben. Den naheliegenden Vergleich zu anderen prominenten »Gesetzesbrechern«, allen voran Robin Hood, zieht er dabei selbst:

Ich nehme das Geld, und auf dem Heimweg radele ich bei der Post vorbei. Giro. Als Einzahler schreibe ich Robin Hood.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit seines Handelns kommen erst  spät auf, erst, als er schon im Lkw auf dem Weg nach Afrika ist.

Waren meine Diebstähle in der Einkaufstraße und beim Richter und der letzte Diebstahl des Kühlwagens ebenfalls alles zusammen vergeblich und nutzlos? Etwas, von dem ich mir nur einbildete, es könne den Kindern in Afrika helfen?

Das Umfeld des Protagonisten reagiert im Grunde zunächst einmal verständnisvoll: Seine Eltern, seine Lehrer finden sein Engagement prinzipiell richtig, nur über das »wie« haben sie andere Vorstellungen. Sie versuchen mit ihm zu reden, schicken ihn schließlich zum Schulpsychologen. Deutlich mehr Verständnis bringen seine Schwester, die Großmutter und Anne für ihn auf – vielleicht auch, weil sie nicht alles wissen.

Dass die Kapitel teilweise sehr kurz sind und der Zusammenhang manchmal zu fehlen scheint, ist Folge der Entscheidung des Autors, die Geschichte aus der Ich-Perspektive zu erzählen und deshalb nur konsequent: Für den Ich-Erzähler ist der Zusammenhang verständlich, sind es doch seine Gedanken, die wiedergegeben werden. Als Leser muss man sich auf den Erzähler und seine Gedanken(sprünge) einlassen, dann ist diese Erzählweise ein Gewinn. Der bisweilen etwas spröde wirkende Stil scheint Teil dieses Konzepts zu sein, auch er unterstreicht letztlich die Authentizität des Textes.

Louis Jensens Buch mag etwas sperrig, etwas unbequem sein, es zu lesen ist aber genau deshalb lohnenswert.

Louis Jensen: 33 Cent – um ein Leben zu retten. Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler. Carl Hanser Verlag: München 2013.

Die dänische Originalasugabe erschien 2010 unter dem Titel »2 Kroner og 25 Øre« bei Gyldendal in Kopenhagen.

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