Es gibt keine Namen. Kein ich. Kein er und kein sie. Nur ein du, und an wenigen Stellen ein ominöses wir. Wir, das ist offenbar ein Geheimdienst, der dich, eine namenlose junge Frau, auf deine Mission fürs Vaterland geschickt hat. Unerkannt sollst du dich einem Gangster nähern, sein Vertrauen gewinnen, mit ihm schlafen − und Informationen beschaffen.Dabei fungiert dein Körper nicht nur als Verführungsinstrument, sondern auch als eine Art menschliche Black Box. Ausgestattet mit Kamera und Schnittstelle speichert er, was du siehst und ermöglicht dir fremde Datenquellen anzuzapfen. Der Geheimdienst kann diese Informationen später verwerten. Vorausgesetzt, dein Körper schafft es zurück. Tot oder lebendig. Weiterlesen
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Ich hab’s dir doch gesagt!
Die Frage ist nicht, ob etwas passiert, sondern wann. Und was. Und wie schlimm es kommen wird. Blut wird fließen, soviel ist sicher. Aber werden Köpfe rollen, abgetrennte Gliedmaßen durch die Luft wirbeln und Gedärme aus offenen Bäuchen quellen? Oder kommt der Schrecken subtiler daher und zermartert den Verstand anstelle des Körpers? Aus Horrorfilmen oder Thrillern ist dieses Phänomen bekannt: Tumbe Trulla läuft durch den Wald, trifft einen schrägen Einheimischen und keine halbe Stunde später steckt ihr Kopf auf einem Pfahl. Oder so ähnlich. Als Zuschauer möchte man diesem dummen Ding am liebsten zurufen, nicht so naiv zu sein und dem finsteren, bärtigen Waldschrat doch besser nicht zu vertrauen. Aber sie steigt natürlich doch auf die Rückbank seines Autos und das Unglück nimmt seinen Anfang. Weiterlesen
Ein bisschen Frieden
Wie ist das so, der Letzte zu sein? Der Überlebende, der Zurückgebliebene, der Einsame – oder eben: der letzte Werwolf? In seinem dunklen, rasanten Roman »Der letzte Werwolf« wirft Glen Duncan ontologische Fragen auf, immer auf der Spur der Erkenntnis. Doch geht es in der Hauptsache um Widernatürliches: Jake Marlowe ist ein Werwolf, beinahe 200 Jahre alt. Im Alter von 34 Jahren wurde Marlowe bei einem nächtlichen Spaziergang von einem Artgenossen gebissen und altert seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. So ist sein Körper agil, stabil und kräftestrotzend, sein Geist ist weise und gelehrt. Eine glorreiche Verbindung, die einer grausamen Wahrheit entspringt: In jeder Vollmondnacht verwandelt sich Marlowe in einen blutdurstigen Werwolf, der Menschen reißt und tötet. Doch ist dieses Monster, dieses Ungetüm des Lebens überdrüssig. Es gibt keine Begeisterung mehr für ihn – nicht für den Blutrausch, nicht für die Drogen, nicht für den Sex und nicht für die Literatur. Die Gedanken an seine vielen Opfer quälen ihn, er badet in Selbstmitleid und übergibt sich den Theorien der deutschen Idealisten, Friedrich Nietzsches und Ludwig Feuerbachs.
Da war der Beginn als Werwolf, wie ein Dorn, an dem ich mich in dieser Sekunde gekratzt hatte. Doch irgendwie lagen zwischen damals und heute fast zweitausend Opfer. Ich dachte an sie in einem Konzentrationslager zusammengepfercht. Meine Eingeweide sind ein Massengrab.
Trotz dieser Lebensmüdigkeit wirft ihn der Anruf seines Verbündeten Harleys zu Beginn des Romans aus der Spur: »Jetzt ist es amtlich. […] Vor zwei Nächten haben sie den Berliner erwischt. Du bist der Letzte.« Ein Jäger macht sich drauf und dran, Marlowe zu erwischen und zu erlegen. Der letzte Werwolf weiß um sein Vermächtnis und er weiß auch, dass er eine Verantwortung trägt. So entwickelt sich diese Erzählung zu einem mystischen Road-Trip, zu einem mitreißenden Thriller. Eine Reise ins Herz der Finsternis – so wie einst Joseph Conrads Charles Marlow.
Mag die Handlung des Romans vordergründig an düstere Fantasy-Erzählungen von H.P. Lovecraft oder Stephen King erinnern, versucht sich Duncans Roman doch eigentlich an einem Bewusstseinsbericht, welcher die Depressionen eines Getriebenen offenbart.
Duncan will den Werwolf-Stoff nicht überhöhen, ihm keine Eleganz einhauchen, daher lässt er seinen Erzähler einen berühmten Vampiren zitieren: »Der Vampir erlangt Unsterblichkeit, immense körperliche Kraft, hypnotische Fähigkeiten, die Fähigkeit zu fliegen, psychische Erhabenheit und emotionale Tiefe. Der Werwolf leidet an Dyslexie und einer permanenten Erektion.«
Sie werden mir das wohl kaum abnehmen, aber ich will nur bis zum nächsten Vollmond am Leben bleiben, damit ein Mann, dessen Vater ich vor vierzig Jahren getötet und gefressen habe, mir den Werwolfschädel abtrennen oder eine Silberkugel ins Werwolfherz jagen kann.
Der Selbstreflexion kann Marlowe nicht entrinnen, sie kennt keine Gnade. Und doch gibt es da mehr als Scotch und billigen Sex, Selbstmitleid und die Schriften toter Philosophen: Schon bald wird der Protagonist neuen Lebensmut schöpfen, der ihn weiter trägt, so, als sei er ein ganz normaler Mensch. »Der letzte Werwolf« ist ein Horror-Roman und – wie alle guten Horror-Romane – ist auch er eine Allegorie auf das, was täglich vor der Haustüre lauert.
Glen Duncan wurde 1965 in Bolton, Lancashire geboren. Er studierte Philosophie und Literatur und arbeitete als Buchhändler. »Der letzte Werwolf« ist Duncans achter Roman. Die Erzählung »I, Lucifer« (2002) wird derzeit mit Ewan Mcgregor, Jason Brescia, Jude Law und Daniel Craig verfilmt.
Glen Duncan: »Der letzte Werwolf«. Aus dem Englischen von Peter Torberg. S. Fischer: Frankfurt am Main 2012.