Buchpiraten unter sich

Es ist nicht so, dass alles auf der Welt besser würde, wenn die Leute mehr lesen, es kommt schon drauf an, was wir lesen.
– Denis Scheck

Im Herbst nach Frankurt, nach Leipzig, wenn der Frühling grünt, so lautet die Devise des deutschen Buchmarktes und so lauteten auch die Vorsätze der Octopus-Redaktion. Zum ersten Mal besuchten wir die Messe im Paris Ostdeutschlands, um im Auftrag des investigativen Online-Journalismus neue Freunde und alte Bekannte wiederzutreffen, vor allem aber um eine Frage zu beantworten: Ist die Leipziger Buchmesse wirklich besser/angenehmer als die wundervolle, herrliche, uns jedes Jahr aufs Neue in den Wahnsinn treibende Frankfurter Buchmesse? Weiterlesen

Die Spiegel-Online-Autorin Hannah Pilarczyk bescheinigt Literaturkritiker Denis Scheck eine rassistische Gesinnung. Scheck hat sich in seiner ARD-Sendung »Druckfrisch« schwarz angemalt und Stellung zur Rassismus-Debatte in Kinderbüchern bezogen.

Pilarczyk schreibt: »Genau wie das Wort Neger steht die Praxis, sich das Gesicht schwarz anzumalen, in einer rassistischen Tradition: In den Minstrel-Shows, die nach dem Bürgerkrieg in den USA sehr populär waren, malten sich weiße Amerikaner ihre Gesichter an, um sich über Schwarze lustig zu machen, um sie als dumm und als faul darzustellen. […] Was man Scheck allerdings zugestehen muss, ist eine Konsequenz, die andere Kommentatoren in der Kinderbuch-Debatte bisher nicht gezeigt haben. Sein schwarzes Gesicht ist sozusagen die visuelle Repräsentation dessen, was in der Kinderbuch-Debatte Land auf, Land ab gefordert worden ist: das Festhalten an Begriffen, deren rassistischer Ursprung unbestritten ist. Scheck hat diese Forderung nur theatralisch ausagiert.«

Der Auftritt von Scheck ist unglücklich, mindestens naiv und nutzt ein fragwürdiges Stilmittel. Dabei hätte Scheck doch ahnen können, was ihn erwarten würde.

Denis Scheck ist Literaturkritiker, Übersetzer, Herausgeber und Journalist. Bekannt wurde der Schwabe als Moderator des Büchermagazins »Druckfrisch«, das einmal pro Monat in der ARD ausgestrahlt wird. Im vergangen Jahr wurde die Sendung mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Der Literaturkritiker im Interview über Altersrassismus im Kulturbetrieb, Charlotte Roche und die Vielfalt der US-amerikanischen Literatur.

 

Lieber Denis Scheck, kann man über Literatur auch im Jogginganzug urteilen?

Gewiss. Aber wie in der Literatur ist auch in der Gesellschaft Formlosigkeit nicht immer von Vorteil.

Welchen Anzug würden Sie bei einer Begegnung mit Thomas Pynchon tragen?

Wenn ich es recht weiß, hatte ich einen ganz normalen schwarzen an.

John Updike, J.D. Sallinger, Thomas Pynchon, Philip Roth, T.C. Boyle – die Liste der von Ihnen geschätzten amerikanischen Romanautoren ist lang. Was ist das Besondere der zeitgenössischen amerikanischen Literatur?

Mit Sonnenbrille: Scheck trifft Boyle (Foto: ARD)

Sie haben meinen besonderen Liebling William Gaddis vergessen. Und Joan Didion, James Tiptree, Paul Auster, Don DeLillo, Bret Easton Ellis, Toni Morrison, Kurt Vonnegut, Nichsolson Baker, Robert Stone, Siri Hustvedt, Padgett Powell und Jack Vance. Jeffrey Eugenides, Jonathan Franzen und Padgett Powell. Damit wird ja schon deutlich: die besondere Qualität der US-amerikanischen Literatur ist ihre Vielfalt. Außerdem fürchte ich, daß es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen militärisch-ökonomischer Macht und künstlerischen Blütezeiten gibt. Ohne Augustus kein Ovid.

T.C. Boyle schrieb einmal: »Romane sind wie Rockkonzerte: Entweder bringst Du die Leute zum Tanzen, oder sie feuern Dir Bierdosen an den Kopf.« Zu welchen aktuellen deutschsprachigen Romanen tanzen Sie?

Hier irrt Boyle. Romane sind Romane, Rockkonzerte sind Rockkonzerte. Aber die Verwechslung zwischen beiden ist ein zeittypisches Phänomen, das insbesondere auf Erfolg bedachten Rampensäuen schon mal häufiger unterläuft. Literatur entsteht nur in der Interaktion zwischen Leser und Text, alles andere ist – sorry T.C. –  Event und Performance. Macht auch Spaß, ist aber was anderes. Doch wie schreibt Flaubert in Madame Bovary so schön: »Des Menschen Wort ist wie eine gesprungene Pauke, auf der wir eine Melodie heraustrommeln, nach der kaum ein Bär tanzt, während wir die Sterne bewegen möchten.«
Im Moment wippt mein Tanzbein ganz leicht bei Christian Krachts »Imperium« und bei Christopher Eckers »Fahlmann«.

Mit dem Zweiten sieht man besser. (Foto: Boris Schöppner)

Junge deutschsprachige Autoren wie Leif Randt, Jan Brandt, Antonia Baum oder Rafael Horzon finden in Ihrer Sendung »Druckfrisch« leider kaum statt. Warum?

Der insbesondere im deutschen Kulturbetrieb besonders verbreitete Altersrassismus und der für die Kritik typische Entjungferungswahn protegiert Debütanten ohnehin schon stark. Aber Franziska Gerstenberg, Mariam Kühsel-Hossaini und Abbas Khider waren ja zum Beispiel auch nicht alt oder etabliert, als sie in der Sendung vorkamen. Die Erfahrung lehrt, daß die besten Bücher selten von den jüngsten Autoren geschrieben werden – und daß man selbst schon renommierte Autoren wie Antje Ravic Strubel, Sibylle Lewitscharoff oder Feridun Zaimoglu einem größeren Fernsehpublikum erst bekannt machen muß. Zudem ist Interviewtwerden genau wie Schreiben etwas, das man lernen muß.

Ihr Interview mit Michel Houellebecq zu dessen Roman »Karte und Gebiet« ist sehr intensiv und auch skurril. Das Gespräch wirkt seltsam entrückt, geradezu gespenstisch. Kann man so etwas planen?

Ja.

Welches Interviewerlebnis war das für Sie außergewöhnlichste?

Ein Interview mit Ray Bradbury, bei dem nicht alle Gesprächsteilnehmer Beinkleider trugen.

In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie zwischen 150 und 180 Bücher pro Jahr lesen. Das sind etwa drei Bücher pro Woche. Wie halten Sie das Tempo?

Was wäre denn die Alternative? Golf spielen?

Ihr Kollege Hellmuth Karasek sammelt Lexika. Sammeln auch Sie ausgefallene Bücher?

Als Kind und Jugendlicher habe ich sehr passioniert Science Fiction und Fantasy gesammelt: »Ace Doubles«, »Galaxy«, »Astounding Stories« und so was, auch alte amerikanische Pulp-Magazine oder der fast zeitgleich mit »Weird Tales« oder »Amazing Stories« erschienene deutsche »Orchideengarten«. Aber in den Häusern von Fischern stößt man selten auf Aquarien.

Auf dem Rad: Scheck trifft Kracht (Foto: ARD)

Was haben Sie von Fritz J. Raddatz gelernt?

Daß man im literarischen Leben keine Dankbarkeit erwarten sollte.

Und von Marcel Reich-Ranicki?

Daß ein Bad in Drachenblut von Vorteil ist.

Beide Literaturkritiker, Raddatz wie auch Reich-Ranicki, schreiben in ihren Autobiografien ausführlich über öffentliche Auseinandersetzungen wie auch Freundschaften mit berühmten Schriftstellern wie etwa Günter Grass oder Martin Walser. Werden Sie in Ihrer Autobiografie auch aus dem Nähkästchen plaudern?

Ich will hoffen, daß mir unverschämt hohe Schweigegeldzahlungen das Maul stopfen.

Wären Sie selbst gerne Romanautor?

Solange darunter sowohl Nabokov wie Charlotte Roche und Susanne Fröhlich fallen, wüßte ich meinen Wunsch bei einer plötzlich auftauchenden guten Fee anders zu stellen.

Denis Scheck wurde 1964 im schwäbischen Bretzenacker geboren. Er ist Literaturkritiker und Journalist. Seit Februar 2003 moderiert er das Büchermagazin »Druckfrisch«, das einmal pro Monat in der ARD ausgestrahlt wird.