T.C. Boyle muss man nun wirklich nicht mehr vorstellen. Der Schlacks mit dem schönen Zweitnamen Coraghessan gehört zu den ganz Großen der amerikanischen Literatur.
Entsprechend groß ist die Nervosität, als wir die Lounge des Stuttgarter Hotels »Am Schlossgarten« betreten. Schicke Sessel, edles Interieur. Und inmitten: ein überaus freundlicher T.C. Boyle. Nur müde sei er, denn die Deutschlandtour sei wohl doch sehr strapaziös. Und in wenigen Stunden stehe schon die nächste Lesung auf dem Programm. Aber zum Glück können wir noch ein paar Fragen loswerden, bevor der Meister zum Nickerchen in seine Suite entschwindet.
     

Boyle macht es sich bequem
T.C. Boyle macht es sich in Stuttgart bequem

Herr Boyle, es ist eine große Ehre für uns, heute mit Ihnen sprechen zu können! Als ich im frühen Sommer das Interview besprach, beschloss ich, alle restlichen Bücher von Ihnen zu lesen – ich muss ehrlicherweise sagen, ich bin immer noch nicht durch damit, es sind so viele. In Deutschland erscheint jedes Jahr ein neuer Roman oder eine Sammlung von Kurzgeschichten. Wie schaffen Sie es, so viel und so vielfältig zu schreiben?

Und der Hanser-Verlag ist noch zwei Bücher hinterher… Aber ich habe ein faires Angebot für dich, für nur 10.000 $ die Stunde komme ich zu dir nach Hause und lese dir alle meine Werke vor. Um auf deine Frage zurückzukommen: Es ist mein Job, das zu tun, was ich tue. Auf meiner Homepage gibt es ein kurzes Essay mit dem Namen »This Monkey, my back«. Die Redewendung mit dem »Monkey on the Back« steht im Englischen für eine Drogensucht, und genau das würde ich auch über mein Schreiben sagen. Ich vergleiche die Herstellung von Fiktion und jeder anderen Art von Kunst mit einer hochgradig süchtig machenden Droge. Ich weiß im Voraus nie, was für eine Geschichte ich schreiben werde, ich träume im Grunde die ganze Zeit, denke über Geschichten nach, die ich machen könnte – ich könnte ja eine Geschichte aus allem machen.

Am Anfang hat man Angst, dass man es nicht schafft, doch man strengt sich an und kommt vorwärts und schließlich ist man am Ende und man ist euphorisch. Man fühlt sich gut, es ist wie ein Rausch… für die nächste Zeit. Und dann kommt die Sucht wieder, der »Monkey« und man muss es wieder tun. Und ich muss auch sagen, obwohl ich »Herr Doktor Professor« Boyle bin, will ich keine Briefe oder Essays schreiben, oder Reden halten. Alles was ich tun will, ist das. Fiktion schreiben. Es ist Kunst, meine Kunst, ich habe niemanden, der mir sagt, was ich zu tun habe, ich lebe in einer Gesellschaft, in der ich über alles schreiben kann – außer ehemalige Freundinnen und die Familie meiner Frau, aber das ist ok, ich kann ja über alles andere schreiben.

Aber woher kam diese Sucht ursprünglich? Wie kamen Sie zum Schreiben?

Ich kam im College dazu, durch einen Nebenkurs, eigentlich. Ich wollte erst auf die Musikhochschule in Potsdam, New York gehen, nicht zu verwechseln mit Potsdam in Deutschland. Aber ich bestand das Vorspielen zur Aufnahme nicht. Also beschloss ich, Geschichte zu studieren, ich mochte Geschichte schon immer. Im zweiten Jahr hatten wir ein Seminar über die amerikanische Kurzgeschichte und das haute mich um, ich lernte all die großen Autoren kennen und schätzen, also sagte ich mir: »Alles klar! Dann studiere ich ab jetzt Geschichte UND Englisch!« Und in meinem dritten Jahr kam ich zufällig in ein Seminar über kreatives Schreiben und das war etwas, was ich konnte. Vorher wusste ich das gar nicht.

Wie Sie vielleicht wissen, wird unser Blog auch von vielen Studenten der Literaturwissenschaft gelesen. Haben Sie einen Rat für sie? In Deutschland ist es nämlich nicht sonderlich leicht, zum Schreiben zu finden, gerade das Genre der Kurzgeschichte ist – gelinde gesagt – unterbewertet.

Das gilt für die USA teilweise auch. Durch die vielen technologischen Spielereien, die unsere Zeit hervorgebracht hat, Handys, Facebook – euer Blog (lacht), kostet es die meisten Menschen einige Überwindung, einmal kurz aus dem Fenster zu sehen oder ein Buch zu lesen. Mein Rat ist daher simpel: bei allem den Stecker ziehen und 24 Stunden am Tag betrunken sein.

Aber im Grunde ist das, was ihr macht, nützlich, mittels Blog können sich andere Menschen schnell informieren, wenn sie die selbe Sache interessiert. Meine Homepage war eine der ersten im Netz, also bin ich auch einer der ersten Blogger gewesen! Auch wenn ich diesen Begriff zum ersten Mal vor drei Jahren gehört habe. Es ist großartig, sich mit den Leuten zu unterhalten, die mein Werk mögen, aber es ist noch viel mehr. Die Menschen unterhalten sich auch über ihre eigenen Werke, sie posten, lernen sich kennen. Das ist eine ganze Welt, die da entsteht. Und das ist genau der Vorteil, den ihr habt. Die Möglichkeit mit Gleichgesinnten eine Gemeinschaft zu bilden.

Wunderbar, wir werden den Ratschlag mit dem Betrunkensein beherzigen! Apropos: Was ist Ihr Lieblingsgetränk alkoholischer Art?

Mein Lieblingsgetränk? Nun, da ich im Weinland Kalifornien lebe, muss es eindeutig Wein sein. Was ich übrigens liebe zu tun, ist, wenn ich in einem kultivierten Weinland wie Frankreich bin, zu sagen: »Oh, ihr trinkt hier auch Wein? Ich dachte das wäre eher so eine kalifornische Sache?« Dann solltet ihr die Gesichter sehen!

Nun zurück zu Ihren Büchern. Können Sie eine größere Gemeinsamkeit bei Ihren Werken festmachen? Für den Leser scheint das nämlich schwierig, es gibt zwar wiederkehrende Themen, aber das Spektrum ist gewaltig. »World’s End« beispielsweise handelt von niederländischen Farmern in Amerika…

Das mag sein, es handelt aber auch von einem Sohn, der nach seinem Vater sucht. Das war ein Thema, das mich schon immer fasziniert hat. Aber rückblickend betrachtet, fügen sich die vielen Fäden mehr zu einem ökologischen Thema zusammen, der Frage nach dem Unterschied zwischen Menschen und Tieren, zwischen unserer spirituell-intellektuellen Seite und unseren Trieben. Das ist ein Thema, das immer wieder vorkommt. »Wenn das Schlachten vorbei ist«, der letzte Roman vor »San Miguel«, handelt sogar ausschließlich davon.

Als ich es schrieb, entdeckte ich die Insel San Miguel und so kam es zu dem neuen Roman, einem Drama, das Ende des 19. Jahrhunderts und 1930 spielt, doch darunter ist es auch wieder eine ökologische Problematik, denn San Miguel wurde komplett zerstört – von Schafen. Die Idee mag am Anfang ja gut klingen, man hält Schafe, sie können nicht weglaufen, man schert sie… doch die Ressourcen der Insel sind begrenzt. Was passiert also mit einer in andere Naturräume eindringenden Spezies – und wir sind schließlich auch eine.

Als ich zum ersten Mal von »San Miguel« hörte, sagte mir jemand: »Das wird der erste nicht sarkastische Boyle!« Würden Sie das selbst auch so sagen?

Ja, ich habe in der Tat versucht, etwas anderes zu machen. Zum einen schrieb ich aus der Sicht mehrerer Frauen, zum anderen hielt ich mich mit Sarkasmus und absurdem Humor zurück. Ich wollte sehen, ob ich eine traditionelle, geradeaus erzählende Geschichte schaffen konnte. Das wurde natürlich unterstützt dadurch, dass meine Quellen ein Tagebuch und zwei Memoiren waren, denen ich in dieser Art auch gerecht werden konnte. Ich habe versucht, etwas zu tun, was ich bisher noch nie getan habe.

Ich habe das natürlich schon in Form von Kurzgeschichten gemacht, habe realistische, nüchterne Kurzgeschichten geschrieben, aber in Romanen kam das bisher kaum vor… es gab einzelne Kapitel und Abschnitte, beispielsweise in »Die Frauen«, aber der Rest ist eine humoristische Erzählung. Dieses Mal wollte ich alles in Kontrolle behalten und es quasi hermetisch abriegeln. Der Leser sitzt fest auf dieser Insel, genau wie die Protagonistinnen und man kann nicht weg.

Gut, kommen wir zur letzten Frage. Es ist eine sehr ernsthafte Frage und wir hoffen, dass Sie ehrlich zu uns sind. Sind Sie noch in der Lage, Kellogg’s Cornflakes zu essen, nachdem Sie »Willkommen in Wellville« geschrieben haben?

(Lacht) Eigentlich habe ich nie wirklich Kellogg’s gegessen. Und übrigens: als ich nach Battlecreek, Michigan fuhr, um für das Buch zu recherchieren, hatte ich zufällig vorher mit einem Journalisten darüber gesprochen und so wussten die Bewohner von Battlecreek, dass ich kommen würde. Sie zeigten mir, dass sie den Artikel in der Stadtbibliothek aufgehängt hatten, so erfreut waren sie darüber. Aber die Kellogg’s Cornflakes Company wollte mich nicht einmal an der Rezeption vorbei lassen… Das war vermutlich weise von ihnen. An dieser Stelle noch ein praktischer Ratschlag für euch, den ich auf der Wellville-Tour gelernt habe: Ich kam zurück nach Michigan, nachdem das Buch veröffentlicht wurde und man kann sagen, nicht alle waren so erfreut, dass irgendein Typ aus L.A. kommt und ihre Geschichte stiehlt. Von daher mein Tipp: Wenn ihr euch den ganzen Körper vorher mit Vaseline einschmiert, dann halten Teer und Federn nicht so gut daran!

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