Es war der Aufreger der Buchmesse 2013: Paulo Coelho, dessen Gesicht man schon einmal vorsorglich auf alle Shuttle-Busse und sonstig verfügbare Flächen geklebt hatte, gab bekannt, er würde nicht nach Frankfurt kommen.
Als Grund gab der 66-Jährige die Korruption in seinem Land an, die anscheinend auch in der Auswahl der Autoren ihre Klauen ausstreckte. Von den 70 Autoren, die eingeladen wurden, so Coelho, kenne er nur 20, die anderen seien vermutlich eher die Freunde von irgendwem, und weniger wegen ihrer literarischen Größe vor Ort, als vielmehr durch Vetternwirtschaft. Ein schwerer Vorwurf, wenn auch kein völlig unbegründeter, da sich Brasilien nach wie vor mit Themen wie der Korruption oder der Gewalt durch Staatsorgane auseinandersetzen muss.

Viele mag das Fernbleiben von Paulo Coelho schwer getroffen haben, wenn man allerdings für die esoterische Ecke der Weltliteratur eher weniger übrig hat, dann gilt es, ein anderes Werk in die Hand zu nehmen, das ebenfalls Brasiliens Schattenseite thematisiert: Die Rede ist von »Unter dem Augusthimmel« von Gustavo Machado. Sollten bei dem Namen des Autors nicht sofort alle Glocken klingeln, so ist das nicht verwunderlich: Es ist sein Erstling, der sich an den Noir-Krimis der 30er Jahre orientiert, dabei aber seinen eigenen Weg geht.

So ist der Protagonist, ein arbeitsloser Maler, irgendwo zwischen Humbert Humbert und Pierrot le Fou nicht der klassische Detektiv oder Kommissar, aus dessen Sicht ein Krimi normalerweise erzählt wird, ganz im Gegenteil: Zu Beginn erwacht man zusammen mit Otto, dem Helden, über den man zu diesem Zeitpunkt auch nicht vielmehr weiß, als seinen Namen, in irgendeiner Gefängniszelle. Ottos Körper ist geschunden, und schnell wird klar, dass ihm dies nicht etwa vor seiner Verhaftung passiert ist. Hier zeigt sich schon eines der Grundthemen des Romans, die ständige Präsenz der schmutzigen Seite von Brasilien, Menschen werden verprügelt, in den Favelas regiert das Chaos und über allem steht »die Partei«.

Anders als manche seiner Kollegen zeigt Machado aber nicht ständig mit dem Finger auf die Missstände, er lässt seine Figuren einfach sehen und berichten. Oftmals bleibt das Elend unbeachtet, nur ein beiläufiger Seitenschwenk des Blicks auf eine Gruppe Obdachlose oder die kurze Beschreibung des desolaten Zustands, in welchem sich ein Gebäude befindet. Man fühlt sich ertappt, da das Prinzip der Verdrängung dafür sorgt, dass man über der spannenden Kriminalgeschichte mehr als einmal über das traurige Schicksal vieler Menschen hinweg liest.

Als Otto im Gefängnis aufwacht, weiß er nicht, wie er dorthin gekommen ist, oder er teilt es dem Leser besser gesagt nicht mit. Als wenig später ein Kommissar zu ihm tritt, beginnt Otto seine Geschichte zu rekapitulieren, von den Anfängen bis hin zu dem Mord, den er begangen haben soll. Ein kurioser Kniff ist hierbei, dass die Kapitel der Erzählung immer mit dem letzten Satz beginnen, den Otto in dem vorhergehenden Kapitel der Rahmenhandlung sagte. So wird er Leser direkt in die Erzählung hineingesogen, ebenso wie der Zuhörer in der Gefängniszelle. Man erfährt, wie Otto, der durch einen Freund in der Politik einen Job als Lehrer eines Zeichenkurses bekam (»Vetternwirtschaft« würde Paulo Coelho wohl sagen), die schöne Sophia kennenlernte, in die er sich verliebte, obgleich sie verheiratet war und er eine mehr als platonische Beziehung mit der Tochter der Nachbarin führte.
Sophia, die irgendwie Femme Fatale ist und irgendwie auch nicht, wird von ihrem Mann, einem reichen Bauunternehmer, geschlagen und bittet Otto schließlich um Hilfe. Und so nehmen die Ereignisse ihren Lauf und am Ende wird alles im Gefängnis enden, so viel weiß der Leser ja bereits. Interessant hierbei ist, dass der Kommissar seinem Gefangenen anfangs erklärt, dass ein einflussreicher Freund ein gutes Wort für ihn eingelegt habe, wodurch er quasi entlastet sei. Dennoch würde der Polizist die Geschichte hören wollen, da er sich (in bester »hard boiled«-Manier) nicht dafür interessieren würde, was ein Politiker sagt. Die gesamte Aufrollung der Geschichte geschieht also mehr aus einem idealistischen Motiv, sich auch noch vor diesem misstrauischen Charakter zu entlasten und nicht aus der schieren Notwendigkeit heraus, was ihr eine unglaubliche Ehrlichkeit verleiht. Otto hat gar keinen Grund, den Kommissar anzulügen, da ihn dieser selbst bei einem Geständnis vermutlich nicht belangen könnte.

Somit gehört Gustavo Machados »Augusthimmel« definitiv zu den lesenswerten Titeln dieser Buchmesse, vor allem dann, wenn man bis jetzt nur von irgendwelchen Alchimisten wusste und erfahren will, wie das reale Brasilien aussieht, mit all seiner Schönheit, seiner Brutalität und dem grau verhangenen Himmel, dessen Farbe Otto liebevoll »Augusthimmel« nennt.

Gustavo Machado: »Unter dem Augusthimmel«. Aus dem Portugiesischen von Lisa Graf-Riemann. Ars Vivendi: Cadolzburg 2013.

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