CoverJan Wagner schreibt Lyrik. Er ist Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse 2015 in der Kategorie Belletristik und damit der erste Dichter, der diese Auszeichnung erhielt. »Regentonnenvariationen« heißt sein Werk, welches die Jury und viele Leser offenbar begeistert, über die Liebe zum unscheinbaren Detail plötzlich den großen Themen ganz nah zu sein. »Jede Schwiele wird unter deiner Lupe so pompös wie eine Kirchenkuppel.« (nach Canaletto)

Jan Wagner schreibt also Lyrik. In einem Ohrensessel so schwer wie ein Kleinwagen, der ihn aber um einiges weiter trägt, umgeben von Büchern. Er schreibt bei Abenddämmerung in müder Stille über den gierigen Giersch, den rostigen Nagel aber auch süffisant über giovanni gnocchi am violoncello und die heilige Prozedur eines neuen Haarschnitts.
Seine Werke werden auch Sehstücke genannt, denn sie lösen einen neuen Blick vom bedruckten Papier. Nicht nur auf die verwobenen Bilder, die Wagner selbst entwirft, sondern auch auf die Dinge, die sonst nur Gebrauchsgegenstand sind, ohne sich uns in ihrer poetischen Schönheit zu offenbaren.
So verwandeln sich Servietten in Origami-Kraniche, die Spuren roten Lippenstifts, wie ein Geheimnis behüten und bis in das »Fegefeuer der Großwäscherei« tragen, oder die Öffnung einer Regentonne metamorphosiert zum Auge einer Amsel.
Ein magischer Akt – nach Wagner – ist diese Art des Schreibens. Das Lesen ist allemal magisch. Seine Gedichte sollen an ihren Lesern kleben bleiben, sie über Jahre begleiten und vielleicht auch erst später verstanden werden.

Heiter richtet Wagner seinen Blick auf die Natur und den Alltag. Ist er also ein moderner Romantiker? Wohl kaum, wenn man da an die klebrige Schießbudenfigur, die die Welt durch eine rosa Brille betrachtet, denkt. Auf jeden Fall ist Wagner Romantiker, wenn man wie der Poet selber Romantik als eine Art Unvernunftszwang neben der Wirklichkeit versteht. Demnach verhüllt ein romantischer Dichter also nicht die Wirklichkeit, sondern macht sichtbar, was darin bisher übersehen worden ist. Er lüftet den Schleier, der die Welt umhüllt und lehrt – im besten Fall – eben dieses neue Sehen.

Dabei ist es auch die Musikalität seiner Gedichte, die den Leser zur gespannten Aufmerksamkeit zwingt, die fasziniert. Sei es die Strophenform, die den Fluss der Bilder bricht und neben dem Erzählrhythmus einen eigenen Rhythmus schafft, wie in melde:

von staub bedeckt, wie alle pilger,
am rhein entlanggewandert, an der moldau,
eben zurückgekehrt aus spanien, aus bulgar-

ien, fernost: so rastet sie am rand
von äckern und von straßen, nickt nur milde,
wenn wir vorüberrasen, unerkannt,

unkenntlich […]

Oder das leichte Spiel mit dem Klang der Worte, dass sich beispielsweise im Bedeutungsspiel der (Hasen)scharten und des (um sich)Scharens in anna zeigt.
Dieser musikalische Hang steckt bereits im Titel des Lyrikbandes von 112 Seiten selbst: »Regentonnenvariationen« ist die Symbiose aus Alltag und Kunst, aus banalen, alltäglichem Objekt und musikalischem Element.

Ohne Zweifel, Wagner ist ein Virtuose, der die Spannung zwischen Alltäglichem und Mythischem mühelos herstellt und erhält. Der klassischen Lyrikformen setzt er eine freie Improvisationen entgegen. So bricht der unbezwingbare Giersch die strenge Form des Sonetts.
Geradezu charakteristisch sind seine »unsauberen Reime«, die bereits als »herrliche Drecksarbeit« eine »Herzensfreude« bereiten (ZEIT).
Für Wagner selbst war bereits die Nominierung ein Geschenk. Er erhofft sich, dass in Zukunft mehr Licht auf die lebendige Lyrikszene fällt, die seit 15 Jahren – leider eher unbeobachtet – heranwächst. Sein Gewinn wird das sicher ändern. Die literarische Zukunft wird poetisch!

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