Nora Bossong (Foto: Erwin Elsner)

Handtücher kann man noch nicht aus dem Internet herunterladen. Und trotzdem steht die Frottee-Firma »Tietjen & Söhne« vor dem Aus. In ihrem dritten Roman erzählt Nora Bossong schwungvoll vom Aufstieg und Fall eines Essener Familienunternehmens. Einem Unternehmen, dem es nicht gelingen will, in dieser globalisierten Welt Fuß zu fassen.

Rund 100 Jahre hat die Firma auf dem Buckel, der Gründer Justus Tietjen konnte einst das kaiserliche Heer mit Handtüchern aus dem Hause »Tietjen & Söhne« versorgen. Es war der größte Triumph der Firmengeschichte. Die Nachfahren Justus Tietjens verwalten die Firma, machen aus ihr sogar kurzzeitig eine Luxus-Marke. Welche Rolle »Tietjen & Söhne« bei den Nazis spielte, das wird innerhalb der Familie verschwiegen. Ein Handtuch, auf dem ein kleines Hackenkreuz gestickt ist, verschwindet still und leise. New York will die Firma ab den Fünfzigern erobern. Ein Plan, an dem die jeweiligen Geschäftsführer kläglich scheitern. Auch Kurt Tietjen, der den Laden in den Achtzigern übernimmt, wird an der Metropole scheitern.

Es klang wie ein leiser Zweifel, aber Kurt wusste, dass es mehr als das war.

Nora Bossong erzählt in »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« von einer Welt, die nahe zusammengerückt ist und keine Schwachen, Zweifler, Abwägenden gebrauchen kann. Es ist ein Generationen-, ein Bildungs-, ein Firmen-Roman. Es ist ein Buch, einmal angefangen zu lesen, das man nicht aus der Hand legen wird.

Die Crux der Determination: Kurt Tietjen will sich in der Rolle als Chef von knapp 250 Mitarbeitern nicht gefallen. Er ist hineingeboren, in diese harte Hierarchie und sein Vater macht ihm stets deutlich: »Ohne die Firma gäbe es weder dich noch mich!« Die Firma wird auch zum Mittelpunkt des Lebens von Kurt, der eine Frau heiratet, für die er zwar keine innige Liebe empfindet, aber immerhin lässt sie ihn in Frieden. Im Laufe der Jahre beginnt Kurt zu grübeln: Was ist Freiheit? Ist dieses Leben überhaupt lebenswert? Trotz des Wohlstands?

Ihm war nicht nach Reisen zumute. Ihm war nicht einmal danach zumute, anwesend zu sein.

Den Verpflichtungen überdrüssig, taucht Kurt am Ende seiner beruflichen Karriere in den dunklen Gassen New Yorks ab. Luise Tietjen, Kurts Tochter, muss nun die Geschäftsführung von »Tietjen & Söhne« übernehmen. Luise, gerade im Begriff, ihr Philosophie-Studium zu beenden, schlägt sich nun mit Gläubigern herum, mit Analysten und selbstgerechten Firmenteilhabern. Stets hat sie ihren Vater für seine Arroganz und sein Desinteresse verachtet, nun stürzt sie selbst kopfüber in die Hölle der Abhängigkeiten und nimmt Charakterzüge des Vaters an.
Nora Bossong erzählt die Geschichte des Unternehmens aus der Perspektive von Luise und ihrem Vater Kurt. Es ist ein mitreißender, ein meisterlicher Roman, den Nora Bossong geschrieben hat. Mit viel Schwung erzählt sie von gescheiterten Lebensentwürfen und Versagensängsten. Das Herbeisehnen der eigenen Kapitulation und die Verdeckung eigener Schwächen.

Doch ist »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« auch die Geschichte von »Schlecker«, von »Neckermann«, der »Frankfurter Rundschau«  und den anderen traditionsreichen (Familien-) Unternehmen, die dem rasanten Tempo und den Ansprüchen dieser Welt nicht standhalten konnten.
Dank Nora Bossongs Roman versteht man diesen Wahnsinn ein Stückchen besser.

Nora Bossong: »Gesellschaft mit beschränkter Haftung«. Carl Hanser Verlag: München 2012.

 

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