Würden Agatha Christie, Franz Kafka und Christian Kracht zusammen auf einem Schiff über die Donau fahren, und würden sich diese drei zusammen an einen Tisch setzen, um ihre jeweiligen Stile zu vereinigen, dann wäre das Ergebnis mit Sicherheit ein bemerkenswertes Werk. Eine Mischung aus Krimi, Abstraktem und gewaltiger Identitätskrise. Leider stehen die Chancen schlecht, ein solches Buch noch in die Händen zu bekommen; Kafka und Christie sind längst auf den literarischen Olymp entschwunden und Christian Kracht hat auch andere Dinge zu tun, als auf einem Schiff die Donau hinunterzufahren. Für diejenigen, die jetzt untröstlich sind, und trotzdem gerne einmal jenes Machwerk lesen würden, bleibt Michal Hvorecky zu empfehlen. Denn dessen Roman »Tod auf der Donau« liest sich in der Tat wie eine bunte Mischung der von Grund auf verschiedensten Genres, eine spiralförmige Höllenfahrt, die Donau hinab.

Und dabei fängt es so gewöhnlich an: Liest man die ersten Kapitel, ohne auf den Klappentext zu achten, so könnte man durchaus meinen, der Titel wäre eine schlechte Entscheidung des Verlags gewesen. Die Hauptfigur, Martin Roy, wirkt wie der Protagonist einer der vielen »Generation of lost Youth«-Romane, die momentan von Amerika aus nach Europa geschwemmt werden. In der ersten Hälfte liest sich das Buch auch nicht wie ein Krimi, es fehlt ein grundlegendes Element: die Leiche.

Die ersten zwei eigenständigen Worte, die er in seiner neuen Berufung von sich gab. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur genickt und wiederholt, was ihm aufgetragen wurde.

Dafür hat Martin Roy aber eine Menge anderer Probleme. Er arbeitet für eine amerikanische Touristikgesellschaft, die Schifffahrten, die Donau entlang, für Rentner aus den Staaten anbietet. Eine Arbeit, in der er sich ununterbrochen verstellen und erniedrigen muss, eine Arbeit, die ihn anwidert, in der er aber mehr verdient als in seinem eigentlichen Wirken als Übersetzer. So beugt er sich mit gleichgültiger Akzeptanz seinem Schicksal und begleitet unsympathische und ungebildete Rentnerhorden auf ihrer Reise über die Donau: von Regensburg bis ans Schwarze Meer. Überraschend gut gelingt es Hvorecky hier, das Bild des Tourismus zu vermitteln, das sich längst nicht mehr auf amerikanische Bürger beschränkt, einer Welt, in der alles leicht erreichbar, günstig und klar verständlich sein muss, eine Wegwerfkultur und Reisen, bei denen man nicht mehr von einem Land zurück mit nach Hause nimmt, als das, was in sechs Kilo Handgepäck passt. In dieser Gesellschaft von Ignoranz und Kolonialherrengefühl taucht plötzlich Martin Roys lang verschollene Jugendliebe Mona auf, mit einem kleinen Koffer und auf der Flucht vor irgendetwas, oder  jemandem. Und damit fangen die Probleme erst an.
Es ist interessant, wie viele verschiedene Themen sich hinter jenem (leider fast ein wenig banal geratenem) Titel verbergen. Auf der einen Seite erzählt Hvorecky die Geschichte einer Generation, die im unpersönlich gewordenem Europa von heute versucht, ihr Glück zu machen, leise vor sich hin lebt, ohne Orientierung, ohne Ballast und Echolot. Sein Protagonist scheint Parade zu stehen für tausende Menschen, die versuchen, ihre Persönlichkeit zu definieren, gleichzeitig aber einer Arbeit nachgehen, die genau das unmöglich macht. Wenn Christian Kracht in »Faserland« den Untergang der harmonisch bürgerlichen Gesellschaft und die Konsumkultur dokumentierte, so wird in »Tod auf der Donau« aufgezeigt, dass diese Entwicklung sich fortgesetzt hat. Die Tatsache, dass der Übersetzer und Bibliophile Martin Roy kaum Zeit findet, ein Buch aufzuschlagen, weil seine erniedrigende Arbeit ihn vollkommen absorbiert, stellt nur eines von vielen Steinchen im großen Mosaik unserer Zeit dar. Blättert man nun um, so erzählt Michal Hvorecky bereits auf der nächsten Seite schon wieder eine andere Geschichte, einen spannenden Krimi, über dessen Verlauf der Rezensent an dieser Stelle schweigt.

Trau den Büchern nicht! Bestimmt denkst du dir, wie belesen du bist. Das kannst du aber alles vergessen. Du wirst von neuem anfangen müssen.

Durchsetzt wird das Ganze durch eine solch skurrile und kafkaeske Atmosphäre, dass das Lesen fast schon ein wenig Unbehagen beschert. Unterstützt wird diese Gefühlsregung durch die Bilder, die hin und wieder eingestreut werden, merkwürdig unscharfe Aufnahmen von Schiffskorridoren und verlassenen Hotels, die obendrein auch in schwarz-weiß abgedruckt sind, so willkürlich, dass man sie erst für einen Fehler hält, oder einen Scherz der Druckerei. Abgesehen von dieser kleinen Ratlosigkeit hat man aber, wenn man »Tod auf der Donau« zuschlägt, ein Gefühl der Sättigung und der Befriedigung, ist es doch ein spannender Roman, der einem den Atem raubt, um einen im nächsten Moment nachdenklich werden zu lassen. Abgesehen davon ist es wohl die größte Liebeserklärung an einen Fluss, seit Bedrich Smetanas »Die Moldau«.

Michal Hvorecky: »Tod auf der Donau«. Aus dem Slowakischen von Michael Stavarič. Tropen / Klett-Cotta: Stuttgart 2012.


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