»Verachtet mir die Meister nicht«: Im Mai beginnen die Feuilleton-Festspiele zu Richard Wagners 200. Geburtstag. Zur rechten Zeit hat sich eine Schwemme von Veröffentlichungen angekündigt, die allesamt das Leben des Komponisten beleuchten wollen. Die vielversprechendste Biographie hat der Musikwissenschaftler Martin Geck geschrieben. Sicherheitshalber hat der Siedler-Verlag sie schon im vergangenen Oktober veröffentlicht. »Wagner« heißt das Buch lapidar und ist gar keine Biographie. Zumindest nicht im Sinne des eigentlichen Wortgebrauchs. Vielmehr geht Geck in seinem knapp 400 Seiten umfassenden Rundumschlag analytisch auf das Schaffen Richard Wagners ein und unterteilt es in 14 Kapitel. Da wird der »Lohengrin« seziert, »Der Ring des Nibelungen« als Mythos des 19. Jahrhunderts durchleuchtet und der Sarkasmus der prätentiösen »Meistersinger“ untersucht.

Im Vorwort seines Buches erklärt Geck: »Ich will nicht Wagner auf die Schliche kommen, sondern mir selbst und meiner Zeit.« Darum geht es also: Wagner zu deuten und sein Werk zu prüfen. An wen sich Geck dabei hält, das verschweigt er nicht: »Ich gestehe zugleich, dass meine Schreibweise eher von Teilnahme à la Thomas Mann als von Zorn im Sinne der enttäuschten Liebhaber Nietzsche und Adorno geleitet ist: Ich kann nur über die Kunst schreiben, die mich bei all ihrer Widersprüchlichkeit letztendlich fasziniert.«
Und so zieht Geck seine Biographie chronologisch auf, von »Leubald« bis zum »Parsifal«. Dabei umreißt er Inhalt und Motive, erklärt aber auch historische Gegebenheiten, mit denen sich der gerissene Komponist während seiner künstlerischen Arbeit herumschlagen musste. Geck reflektiert das Werk Wagners nach »musiktheoretischen, musikästhetischen, philosophischen, kulturgeschichtlichen und lebensgeschichtlichen« Gesichtspunkten, so, wie er es sich in seinem Vorwort vornimmt. Jedes Kapitel schließt mit einem »À Propos« ab, einer zweiseitigen Abhandlung über zumeist kritische Interpretationen von Zeitzeugen Richard Wagners oder prominenten Kritikern.

Die antisemitische Hetzschrift »Das Judenthum in der Musik« von Wagner handelt Geck in seinem Buch unteranderem an der Freundschaft des Komponisten mit dem Schriftsteller Berthold Auerbach ab. Auerbach, ein Intellektueller, der sich stets wohlwollend über Wagners Werk äußerte und es auch unterstützte, wird von Wagner in seiner Schrift, zwar ohne Namen aber dennoch identifizierbar, als »begabter« und »geistvoller« Schriftsteller beschrieben, der jedoch »typisch jüdische Charakterschwächen zeige.« Später urteilt Wagner über Auerbach: »Diese Kerle sind eine Pest.« Geck zeigt mit dieser Darstellung die Verbissenheit und Kaltblütigkeit Wagners auf. Und verdeutlicht auch, dass der Antisemitismus des Komponisten nicht von seinem Werk zu trennen ist. Und das, obwohl solch populäre Denker wie Slavoj Zizek (»Der zweite Tod der Oper«. Berlin 2003) das anders sehen. Ob Figuren in Wagners Werk als Antisemiten zu identifizieren seien, wird ebenso verhandelt, mit Zitaten verschiedener Kritiker.

Geck versteht seine Biographie nicht als Überhöhung der Musik oder als Heldenverehrung, er untersucht die Komplexität des Werkes und entflammt beim Leser unweigerlich Interesse an einer Spurensuche. Die Größe der Musik, die losgelöst von seinem Schöpfer betrachtet werden kann, fängt Geck in wunderbaren Worten ein. Mit »Wagner« nähert man sich dem Komponisten und seiner Musik, ohne das theatralische Gewäsch verbissener Wagnerianer ertragen zu müssen, die schlimmer sind, als die Dylanologen.
Zum 200. Geburtstag des Komponisten kann man es durchaus mit Geck und seinem »Wagner« versuchen.

Martin Geck: »Wagner«. Siedler Verlag: München 2012.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.