Summ, summ, summ,

Bienchen summ herum.

Kaum ein Roman auf der Frankfurter Buchmesse 2014 dürfte diesem altbekannten Kinderlied mehr entsprochen als das bei Klett-Cotta erschienene »Die Bienen« von Laline Paull, und das, ganz ohne ein Kinderbuch zu sein. Auch wenn eine Kurzversion des Plots Ähnlichkeiten mit Steve Parkers »Tagebuch einer Ameise« aufzuweisen scheint, so verbirgt sich doch viel mehr hinter der Geschichte von Flora 717. Diese ist eine Arbeiterbiene der unteren Kaste in einem Bienenvolk, dessen Stock in einem sommerlichen Obstgarten steht. Als sie schlüpft, heftet sich der Blick des Lesers an sie und verfolgt sie von nun an, während sie sich den Alltag ihrer Schwestern eingliedert. An dieser Stelle könnte das Buch bereits mit den klassischen »Und wenn sie nicht gestorben ist…«-Phrase enden. Tut es aber nicht, denn das Leben einer Biene ist bei weitem turbulenter, als man es vielleicht annehmen mag, besonders das von Flora 717. Ihr geschehen ohne Unterbrechung die wunderlichsten Dinge und schließlich beginnt sie auch noch, Eier zu legen. Im Bienenstock gerät die Welt aus den Fugen…

Es ist ein wirklich außergewöhnliches Mischwerk, das man da beim Lesen in den Händen hält. Aus den naiven Augen einer Biene geschildert, erwecken die ersten Seiten tatsächlich noch den Eindruck einer heilen Welt, nur um den Leser danach in einen dystopischen Abgrund zu ziehen, der den Rest des Romans ausmacht. Die Gesellschaft des Bienenvolks stellt dabei nach Freud ein perfekt geschlossenes System dar, in dem sich das Miteinander der einzelnen Arbeiterinnen (vorerst) ohne größere Fremdeinwirkungen entwickeln kann.

Nur allzu sehr erinnern einige der Vorgänge, die Flora 717 schildert an die großen Werke Orwells und Huxleys, beispielsweise, wenn das Schwarmgehirn Befehlscodes wie »Arbeiten, gehorchen, dienen.« ausgibt. Der Kunstgriff, der Paull hierbei gelingt, ist die Vermischung von realen Begebenheiten mit fiktiven Elementen. Zwar ist alles, was Flora tut und erlebt, tatsächlich für eine Biene möglich, durch eine stark anthropomorphe Darstellung vergisst man als Leser jedoch nach einigen Zeilen immer wieder, in welchem Rahmen man sich eigentlich befindet. Wenn die Putz- und Sammlerbienen in der Cafeteria sitzen und ihr Pollenbrot essen, während die Fruchtbarkeitspolizei die Kinderstation durchkämmt, auf der Suche nach Missgeburten, dann wirkt das mehr wie ein Auszug aus »1984« oder »Brave New World« als aus »Biene Maja«. Generell ist die Atmosphäre, wenn sich die anfängliche Begeisterung über alles Neue gelegt hat, eine sehr drückende, der Bienenstock eine perfide Mischung aus Schreckensregime und mütterlicher Liebe. Auch von außen lauern zahlreiche Gefahren wie Wespen, Spinnen und natürlich auch der Mensch (An dieser Stelle kann es sich »Die Bienen« leider nicht verkneifen, ein wenig die Moralkeule zu schwingen). Der Tod ist ein allgegenwärtiger Begleiter in der grausamen Welt der Natur und die Bienen sterben bereitwilliger als es je ein Soldat im Ersten Weltkrieg getan hätte.

All das führt dazu, dass man Laline Paulls Werk im Grunde auf zwei Ebenen lesen kann (und vielleicht auch muss). Einerseits gibt es da die Geschichte von Flora 717, die verschiedene Abenteuer besteht, und schließlich ein großes Geheimnis aufdeckt, das ihrem Schwarm zugrunde liegt. Andererseits – und das macht nach der bescheidenen Meinung des Rezensenten den interessanteren Part aus – funktioniert »Die Bienen« als kulturwissenschaftlicher Spiegel für die Menschheit. Von dystopischen Elementen wie Totalitarismus, Fanatismus und Kastensystemen bis hin zum Kants kategorischen Imperativ werden überaus menschliche Konzepte auf die Welt der Bienen übertragen und so elegant vermittelt, dass die Grenze zwischen fiktionalem und realpolitischem immer wieder verschwimmt. Wäre der Ton etwas wissenschaftlicher gehalten, und hätte man die Erzählung zwischen Pro- und Epilog herausgeschält (die im Vergleich zum Rest leider ein wenig banal und deplatziert wirken), so könnte man »Die Bienen« durchaus als eine philosophische Abhandlung verstehen. Als Roman funktioniert es jedoch ebenso gut, die Mischung ist gelungen und das Produkt rinnt dem Leser bittersüß die Kehle hinunter: Süß wie Honig, bitter wie das Gefühl, an einem taubekränzten Sommermorgen barfuß in den Garten zu gehen und dabei auf eine Biene zu treten.

Laline Paull: Die Bienen. Klett-Cotta: Stuttgart: 2014

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