9783869710082Kürzlich berichteten Medien über den Tod eines Delfins. Ein Selfie-wütiger Mob quälte das Tier mit den gierigen Linsen seiner Smartphone-Kameras, bis der Delfin schließlich austrocknete und erstickte. Herausgezerrt aus dem argentinischen Meer – missbraucht für Quality-Time-Schnappschüsse, die auf Mini-Chips und Cloudspeichern begraben werden.

Nicht weniger befremdlich ist die Zerstörung von Korallenriffen durch den Microsoft-Gründer Paul Allen. Der Anker seiner Jacht riss vor wenigen Wochen tiefe Krater in die Unterwasserwelt der Cayman-Inseln. Ein Versehen, laut Allen.

Dass eine derart märchenhafte und sensible Landschaft vernichtet wird – nicht zwingend überraschend. Man kennt die Angewohnheit der Menschheit, sich den Vorteilen seiner Umwelt bis zu deren Kollaps zu bedienen, und erst nachdem die Profite vollends abgeschöpft sind, Einsicht vorzugaukeln. Schwamm drüber.

Die eigentliche Kontroverse ist hier das Image Allens. Der Milliardär, der sich gerne als Umweltaktivist bezeichnet, sieht sich nicht in der Pflicht, den Schaden angemessen zu begleichen, bzw. seine Mittel zu Verfügung zu stellen, um eine Wiederherstellung des Riffs zu unterstützen.

In Karen Duves Roman Macht ist solch gewissenloses Verhalten nicht ungewöhnlich – noch nicht mal eine Meldung wäre ein impertinenter und sinnloser Mord wie jener an dem Delfin wert. Immerhin verspeist man in Macht Baby-Delfine (ohne mit der Wimper zu zucken).

Und nicht nur das, es geht natürlich viel schlimmer: Protagonist Sebastian Bürger vergewaltigt seine angekettete Ehefrau im Keller nach Lust und Laune. Dann ist da noch eine Liebesgeschichte mit seiner plötzlich auftauchenden Jugendliebe eingeflochten, die sich an einem von der Liebe isolierten Ort natürlich nicht entfalten kann und ebenfalls mit sexuellen Gewaltakten endet. Puh. Sowieso handelt es sich um eine entsetzliche Welt, die Karen Duve über vierhundert Seiten erzählt. Eine Welt, der jeder Funke Hoffnung abhanden gegangen ist.

Mutter Erde entzieht den dauerpubertierenden und lernresistenten Kindern die Lebensgrundlage. Stürme fegen über Hamburg hinweg. Insektenplagen wohin man schaut und eine Hitze, die den menschlichen Organismus vor unlösbare Aufgaben stellt. Alles, was den Menschen dazu einfällt, ist die Regulation des Zusammenlebens von nun an maßgeblich den Frauen zu überlassen.

Und den Frauen fällt wiederum nichts Besseres ein, als eine Fahrradhelmpflicht einzuführen. Ach ja, CO2-Kontingente, die gilt es außergewöhnlich teuer zu kaufen, wenn man zur Last der ohnehin zerstörten Umwelt, weiter zerstören will, z.B. durch den Verzehr von Fleisch.

Erinnert ein wenig an das Eintrittskartenverkauf-Prinzip der britischen Musikerin Adele: Einfach die Ticketpreise von Grund auf derart unbezahlbar gestalten, dass es für den gewöhnlichen Bürger nicht möglich ist, überhaupt daran zu denken, den musikalischen Vortrag eines Menschen zu besuchen. Auf den Nachhaltigkeitsgedanken bezogen, eigentlich keine schlechte Idee; sollte ein aufrichtiges Interesse daran bestehen, z.B. den Bestand von Fischen und anderen Lebewesen mit Nahrungsmitteletikett nachhaltig zu schützen.

Die Frage, die sich jedoch bei Karen Duves Roman stellt, ist die nach dem Warum. Warum Fiktion? Dass Duve zynisch geworden ist, geht in Ordnung. Das ist verzeihlich sowie nachvollziehbar, wenn sich ein Individuum über lange Zeiträume mit den Abgründen der Menschheit beschäftigt. Wozu es jedoch eine fiktionale Anreicherung existenzieller Thematiken braucht, bleibt schleierhaft. Die Autorin ist im essayistischen Vorgänger so viel interessanter.

Der Anspruch, durch künstlerische Aufbereitung auf Rezipienten einwirken zu wollen, darf trotz des allseits verbotenen Idealismus die nicht verlassen, die wertvoll Gegenwart reflektieren können – und dazu gehört Karen Duve zweifellos. Duves Ansatz, durch tiefe Grausamkeit etwas in Gang zu setzen, dürfte obsolet sein. Antonin Artaud weiß das in seinem Grab. Sein Theater der Grausamkeit entfacht nur noch bei Akademikern ein Glänzen in den Augen. Da kann er noch so viel Kluges auf seine Nervenwaage legen. Wer etwas ändern möchte, der braucht Mut. Mehr Mut.

Karen Duve: Macht. Galiani Berlin 2016.

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