Er war neben M. Agejews „Roman mit Kokain“ wohl die fantastischste (Wieder-) Entdeckung des Jahres 2013: Sein im Hanser-Verlag erschienener, neu übersetzter Roman „Das Phantom des Alexander Wolf“ überzeugte Liebhaber wie Kritiker der russischen Exilliteratur gleichermaßen. Der Name Gaito Gasdanow ist insofern also Programm. Nun erscheint – ebenfalls bei Hanser – sein zweiter Streich, wobei es eigentlich vielmehr der erste ist, denn „Ein Abend bei Claire“ war das Erstlingswerk des stillen Russen. Zur Jahreswende 1929/30 veröffentliche der damals Sechsundzwanzigjährige jenes Werk, das ihn mit einem Schlag vom hungerleidenden Taxifahrer und Essaisten zum gefeierten Exilliteraten beförderte, der im selben Atemzug wie Vladimir Nabokov genannt werden sollte. Doch so ähnlich sich die beiden Autoren auch gewesen sein mochten – Nabokovs erster Roman „Marenschka“ erschien drei Jahre zuvor, beide Werke thematisieren Emigration und beide Autoren waren große Liebhaber der Gedichte Alexander Puschkins – so verschieden ist die Ausrichtung: Verkörpert das Ende der Liebesbeziehung bei Nabokov noch den schlussendlichen Verlust der Heimat, so steht der titelgebende Abend bei Claire am Anfang der Erzählung, bildet quasi den Auftakt. Der Protagonist, namentlich Nikolai (Kolja) Sossedow, ist unglücklich in die junge Dame von Welt Claire verliebt (nur allzu deutlich bilden sich parallelen zu Gasdanows eigenen Erlebnissen), die mit ihrer heiter-quirligen und leicht naiven Art über die eigene Fragilität und Melancholie hinwegzutäuschen versucht.

Die Traurigkeit lag in der Luft, ihre lichten Wellen flossen über Claires weißen Körper, an ihren Beinen und Brüsten entlang; und als unsichtbarer Atem strömte die Traurigkeit aus Claires Mund.

Jene Tristesse und das Bedauern über den Verlust des idealisierten Bildes der Geliebten veranlassen Kolja dazu, sich an vergangene Zeiten zurückerinnern. Die folgenden Passagen, die den Rest des Romans ausmachen, rekapitulieren sein Leben, angefangen bei seiner Kindheit im russischen Kaukasus und dem frühen Verlust des Vaters, über die Jugend auf einer Kadettenschule und den Kriegsdienst während des russischen Bürgerkrieges bis hin zur Emigration und den ersten Tagen in Paris. Doch mit der Beschreibung der Ankunft in der französischen Metropole schließt der Roman und der Kreis zu den Anfängen bleibt unvollendet. Somit erfährt man nicht, wie die Beziehung zu Claire letztlich endet, nur die oft erwähnte Trauer und die Tatsache, dass Claire mit einem anderen Mann verheiratet, die Beziehung also eine Affäre ist, deuten auf einen tragischen Ausgang hin.

Wenn man – wie der mit Gaito Gasdanow befreundete Romancier Michail Ossorgin – die Meinung vertritt, dass sich im ersten Roman immer die autobiographische Seite eines Autors niederschlägt, dann ist „Ein Abend bei Claire“ hierfür ein Beispiel par excellence. Doch nicht nur historischen Figur Gasdanows zeigen sich Übereinstimmungen (wie der frühzeitige Tod des Vaters, die Distanz zur Mutter und der Kriegsdienst in der weißen Armee), gleichzeitig wirkt der Roman ein wenig wie das Gegenstück zu seinem Meisterwerk „Das Phantom des Alexander Wolf“, welches erst19 Jahre später erscheinen sollte. Auch hier tritt eine begehrenswerte Dame auf, die den Helden – Claire nicht unähnlich – abwechselnd er- und entmutigt. Auch Handlungszeitraum und -schauplatz scheinen beinahe identisch zu sein, es ist beide Male das Paris der 20er und 30er Jahre, welches Gasdanow selbst erlebte und daher perfekt wiedergeben konnte. Und schließlich tritt der Protagonist von „Ein Abend bei Claire“ in die weiße Armee ein, während sein „Kollege“ aus „Das Phantom des Alexander Wolf“ auf der Gegenseite in der roten Armee. Beinahe hat man den Eindruck, Kolja wäre eine frühe Version jenes rätselhaften Reiters, der im Krieg den Tod findet, um später plötzlich unvermittelt in Paris wieder aufzutauchen.

Mag das Ende bei „Alexander Wolf“ auch etwas abrupt und aufgesetzt wirken, so gelingt der Kunstgriff bei „Claire“ wesentlich besser, obgleich sich die Romane sprachlich auf derselben Ebene bewegen. Zwar fehlt den Sätzen noch etwas die Klarheit des späteren Gaito Gasdanows, doch an sprachlicher Malerei und poetischer Wortgewalt hat der junge Autor bereits genau das richtige Maß gefunden.

Immer weiter weg und schwächer war das Feuer von Feodossija zu sehen, immer klarer und mächtiger wurde der Lärm der Schiffsmaschinen; und als ich dann erneut aufschreckte, merkte ich, dass Russland nicht mehr da war.

Bei vielen großen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt sich das erste Werk im Nachhinein als das schwächste heraus, es tut insofern gut, zu sehen, dass dies bei Gaito Gasdanow nicht der Fall ist. Mit „Ein Abend bei Claire“ taucht auf dem deutschen Buchmarkt ein weiteres Juwel aus der Vergangenheit auf, das ansonsten vielleicht für immer in Vergessenheit versunken wäre.

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