Es gibt Autoren, die man am besten lesen und nur aus der Ferne beobachten sollte, sie schreiben exzellent, sind aber arrogant, unsicher oder unnahbar oder alles zusammen.

Es gibt aber auch Autoren, die man liest und aus der Ferne sieht und sie werden aus der Nähe größer. Einer von ihnen ist Emil Steinberger. So gelassen, so freundlich und trotz seiner Welterfolge so bescheiden und vor allem offen, dass der Leser einmal mehr lernen kann: Erfolg ist doch nicht so schlimm wie sein Ruf.

Lieber Herr Steinberger, achtzig – oder besser gesagt „lachtzig“ – Jahre haben Sie inzwischen hinter sich und sind trotzdem produktiver als die meisten Ihrer jungen Kollegen… Woher nehmen Sie diese Energie?

(Lacht) Ja, das kann ich eigentlich nicht beurteilen, ob ich mehr Energie habe als die anderen Achtzigjährigen. Klar gibt es Abstufungen, ein Arzt hat mir letztes Mal erzählt, es sei erschreckend bei seiner männlichen Kundschaft, sobald die das 65. Lebensjahr überschritten haben, da geht es mit diesen Menschen bergab. Das sei so offensichtlich, die Leute haben keine Interessen mehr, keine Beschäftigung, sie leben nur noch für das Alter. Jeden Tag überlegen sie: Wie alt werde ich noch, xy ist wieder gestorben… die befassen sich nur noch mit dem Lebensabend. Und das ist wirklich schlimm, das muss man doch anders angehen. Ich habe total vergessen, als ich 65 war, dass ich mich ja eigentlich pensionieren lassen könnte. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, das geht einfach nahtlos weiter und man bleibt durch die Aktivität länger… was soll ich jetzt sagen, „jung“ wäre auch falsch, „gesund alt“, „interessant alt“ oder „schön alt“?

Willy Millowitsch wurde mal in einem Interview zu seinem 80. gefragt: „Wieso sind Sie immer noch auf der Bühne so aktiv?“ Er hat geantwortet: „Solange ich aktiv bin, ist meine Zentrale, im Kopf oben, besetzt. Sobald ich da oben aufhöre zu denken, da melden sich alle Organe, dann klingelt ständig das Telefon in der Zentrale, jedes Organ hat irgendetwas mitzuteilen.“

Das eben angesprochene „Lachtzig“ ist ja nicht Ihr erstes Buch, 1999 erschien bereits „Wahre Lügengeschichten“…wie kam es dazu? Wollten Sie etwas Neues beginnen?

Der Gedanke kam einfach, weil es so viele lustige Geschichten gab, in meinem Leben, da habe ich überlegt, es wäre einmal an der Zeit, das zusammenzutragen, und dann während des Schreibens war ich mir teilweise gar nicht mehr sicher, ob das tatsächlich so war. Und dann kam mir die Idee, man könnte ja mal in einem Buch wahre und unwahre Geschichten vermischen, und die Leute sollten raus finden, welche Geschichte wahr ist. Wir haben dann gleichzeitig mit dem Verkauf vom Buch einen Wettbewerb gemacht, die Leser konnten eine Karte einschicken, und das war eigentlich mehr der Antrieb, ein Buch mit lustigen Geschichten zu machen, als dass ich jetzt plötzlich Schriftsteller sein wollte.

Das sind Sie aber trotzdem geworden, kann man heute sagen. Wie steht es um Ihre Vorlieben? Schreiben Sie lieber Bücher oder treten Sie lieber auf?

Wenn ich jetzt an ’87 denke, und meine damalige Einstellung, wäre mir nie in den Sinn gekommen, irgendwann einmal wieder auf die Bühne zu treten. Aber als das erste Buch erschien, kamen die Buchhändler zu mir und sagten: „Emil, mach doch in der Buchhandlung eine ganz kleine Lesung!“ Und dann macht man das einmal und dann kommt die nächste Buchhandlung und da macht man das wieder und dann kommt die nächste, und die Fünfte, und die Zehnte und das Programm verändert sich immer mehr – ich lese immer weniger und spiele mehr – und schließlich lande ich in Köln, bei der Mayerschen Buchhandlung, da standen plötzlich 600 Leute in diesem Raum. Und in diesem Moment dachte ich mir: „Warum gehst du damit nicht auf eine Bühne?“, das stieß mich ja direkt, ich wollte ja selber nicht mehr, aber mit dieser Arbeit wurde das für mich wieder vertretbar.

Wie beurteilen Sie die heutige Landschaft des Kabaretts und der „Comedy“? So originelle Konzepte wie das Ihre damals gibt es ja kaum noch.

Ich muss sagen, ich kenne es fast nicht mehr, was die Leute heutzutage alles versuchen, weil ich es mir gar nicht mehr anschaue. Ich muss aber auch sagen, damals, als ich angefangen habe, gab es ja eigentlich gar keine Konkurrenz… heute ist das ja unglaublich, dieses Angebot von Comedy-Leuten, die einfach auf der Bühne stehen und einen Witz erzählen, der anfängt mit „Meine Freundin…“, dann weiß man schon, wie es läuft. Das kann ich gar nicht mit ansehen, das ist einfach eine völlig andere Art von Humor und es ist beängstigend, dass viele junge Menschen, die in dieser Phase leben, nur noch diese Art von Humor kennen.

Ich habe einen Lehrer kennengelernt, der erzählte mir, er müsse seinen Schülern Komik anhand von Beispielen erklären, er zeige ihnen Filme von Chaplin und müsse bei vielen Szenen anhalten und erläutern: „Wieso lacht man da?“, denn die kennen das Bild, das komische Bild, nicht mehr, das ist ja alles inzwischen verbal. Ich kenne auch keinen dieser modernen Comedy-Stars, die mimisch arbeiten. Aber ich musste mir abgewöhnen, meine Meinung über Komödianten von heute zu äußern. Einmal habe ich das gemacht, da war prompt ein Artikel in der Boulevard-Presse „Emil klagt an…“.

Ihr Humor ist grenzüberschreitend, dafür haben Sie auch den einen oder anderen Preis bekommen, mit Ihren Programmen sind Sie nach Afrika und sogar in die ehemalige DDR gereist… können Sie sich erklären, was diese besondere Komponente ist, die Menschen auf dem ganzen Erdball zum Lachen bringt? Haben Sie die Nummern immer etwas abgeändert?

Nein, überhaupt nicht, die haben immer einfach so funktioniert. Es gab eine Nummer, die hieß im Schweizer Dialekt „Klassenzusammenkunft“, also das „Klassentreffen“, und irgendwie stimmte diese Nummer in Deutschland nie so richtig, die habe ich dann nach zehn Aufführungen weggelassen, ich kann bis heute nicht genau sagen, was da anders war. Aber sonst ist das wirklich interessant, wenn ich beispielsweise in Montreux bei einem Chinesen essen gehe, und der Ladenbesitzer – der wirklich ein Chinese ist – mir dann erzählt, dass er eine meiner DVDs mit nach China genommen und sich mit seiner Verwandtschaft darüber fast totgelacht hat. Die verstehen kein Wort, aber es funktioniert trotzdem… Das ist ein Geschenk, das man bekommt.

In „Lachtzig“ verarbeiten Sie auch sehr intime Erinnerungen, wie Ihre erste Ehe… Es sind diese Momente, wo das ansonsten sehr heitere Buch nachdenklich wird. Sie schreiben mit einer ungewöhnlichen, unter Künstlern ungewohnten Offenheit. Es muss Sie Überwindung gekostet haben. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Es kostete nicht einmal so viel Überwindung, das liegt einfach an der unterschiedlichen Wahrnehmung: In Deutschland kennt man mich nur als Kabarettist, in der Schweiz weiß man, was ich sonst alles so gemacht habe, ein Theater aufgebaut, ein Kino gegründet, etc.

Ich hatte das Gefühl, es wäre an der Zeit, den Leuten zu sagen: „Hey, so einfach ist das auch nicht!“ Denn manche denken: „Ja, Emil ist immer lustig aufgelegt und hat keine Probleme, dem geht’s gut. Alle Säle sind ausverkauft, Mensch was will der denn mehr im Leben?“

Aber jedes Leben hat zwei verschiedene Seiten, da hat man manchmal das Bedürfnis, etwas zu erklären, oder zu schildern, damit die Leute wissen: So einfach war es nicht. Das zu werden, was ich bin, in diesem Beruf, zum Beispiel, oder die Fröhlichkeit zu behalten, wenn es zu Hause im Elternhaus ganz anders aussieht, wenn die eigenen Eltern überhaupt keinen Spaß haben, an dem, was man macht, das ist schon hart. Und das prägt auch, vielleicht auf eine andere Art, das hat alles seine Vor- und Nachteile.

Auf dem Höhepunkt Ihres Erfolges damals, als Sie wie kein anderer Satiriker oder Kabarettist einen beneidenswerten Erfolg hatten, brachen Sie alles ab und lebten fast zurückgezogen. Sie machten zwar witzige Werbungen und andere gute Sachen als „Herr Steinberger“ aber „Emil“ war ins Exil gegangen. Eine sehr mutige Entscheidung. Können Sie sich heute noch erinnern, welche Gedanken und Gefühlen Sie damals vor der Entscheidung begleitet, aufgewühlt haben?

Ja, die Hauptentscheidung war damals das Verlassen meiner Heimat, ungefähr 1993. Im Jahre 1987 habe ich aufgehört und damals habe ich wirklich damit gerechnet, dass ich jetzt vergessen werde. Mir war das zu dem Zeitpunkt egal, ich freute mich einfach schon auf eine neue Phase, ich habe mich sehr für Malerei interessiert, ich dachte mir: „Mensch Emil, du hast ja auch Grafiker gelernt, stell mal den Kabarettisten in die Ecke, und beginn wieder einmal, kreativ zu sein!“. Und das war so ein starker Motor, die Ablösung fiel mir relativ einfach, weil ich ein neues Interessengebiet hatte. Und dann kam plötzlich ein Werbeangebot, wo ich dann 100 Werbespots für Melita gedreht habe, das war für mich auch etwas ganz Neues. Und so war die Zeit zwischen ’87 und ’93 völlig ausgefüllt mit solchen Dingen.

Aber irgendwann überbordete es wirklich, und auf einmal ist man so eine Figur, und merkt, dass es auch Gegenrichtungen zu einem gibt, von anderen Leuten, die langsam genug von einem haben. Und man fühlt sich schon unwohl, wenn man zum Kiosk geht, weil man nicht weiß, was für eine Schlagzeile einen heute erwartet: „Emil sagt…!“, da habe ich eine ganze Sammlung zuhause von solchen Blickfängern, was da alles draufstand… Und es wird immer enger und enger und irgendwann geht man nicht mehr aus dem Haus, wie Robert Redford, der irgendwann mutterseelenallein auf einem Berg bei Los Angeles gelebt hat. Auch ich brauchte einfach eine totale Luftveränderung.

Eine letzte Frage: Können Sie sich vorstellen in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen Emil auf der Bühne / der Leinwand zu spielen, einen älteren, frechen Mann, der die jüngeren Generationen poetisch auf den Arm nimmt? Ich bin sicher, Sie werden mit neunzig so agieren wie andere mit vierzig, und Ihr Kollege Woody Allen bringt einiges nicht nur durchs Wort, sondern durch seine besondere Persönlichkeit zum Ausdruck, und Sie haben eine solch markante und äußerst charmante Persönlichkeit…meine Annahme hat nichts Romantisierendes. Ihre Vorstellungen sind alle ausverkauft.

Ja. Im September hatte ich in Luzern eine Sonderveranstaltung angesetzt, als Dank an die Stadt, die mich immer unterstützt hat, im Konzertsaal für 1700 Leute, das war in zwanzig Minuten ausverkauft. Dann haben mich die Betreiber angerufen, und wir haben eine zweite Veranstaltung gemacht, und eine dritte und eine vierte, im November. Und bei diesen Veranstaltungen habe ich gemischt: Da hatte ich zwei Tische auf der Bühne. auf der einen Seite einen braunen Holztisch, wie ich ihn beim aktuellen Programm „Drei Engel“ brauche, auf der anderen Seite meinen alten schwarzen Holztisch, den ich bei meinen früheren Kabarettprogrammen brauchte und für die Reise zusammenklappbar war. Beim braunen Tisch erzählte ich Geschichten, oder las vor und beim schwarzen Tisch, spielte ich wieder „Die Polizeihauptwache“, „Das Steuerformular“ und den „Feinschmecker“ . Und das hat dem Publikum gefallen, ich habe noch nie soviel Post bekommen.

Diese Mischung hat also etwas in sich, und wer weiß, was sich aus dem Luzerner Programm ergibt… ich weiß noch nicht, was in der Zukunft ansteht.

Herr Steinberger, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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