Treffen sich vier Menschen in einer lausigen Flughafenbar: Karen ist Mutter einer Tochter im Teenageralter, alleinstehend und wünscht sich nichts sehnlicher als einen Mann an ihrer Seite. Dem Internet sei Dank lernt sie Warren kennen und fliegt für ihn sogar bis ans andere Ende des Kontinents. Doch der erhoffte Traumtyp entpuppt sich als »Kampfzwerg mit einer Fliegersonnenbrille, die ihn wie einen Serientriebtäter aussehen lässt«. Da hat Barkeeper Rick schon bessere Chancen, obwohl auch er keine Musterbiographie vorzuweisen hat. Nach verschiedensten Rückschlägen und Niederlagen lässt er vom Alkohol vorübergehend die Finger und erwartet Rettung von Leslie Freemont, der seinen deprimierten Klienten für tausende Dollar ein so genanntes »Power Dynamics Seminar System« andreht.
Zu dieser Mischung aus abgehalftertem Esoterik-Guru und skrupellosem Gangster bildet Luke das nicht weniger beschädigte Gegenstück. Als Priester einer kleinen Gemeinde irgendwo im nordamerikanischen Niemandsland, dem seine Schäfchen wieder und wieder die gleichen langweiligen Sünden beichten, wird es ihm irgendwann zu viel und er macht sich kurzerhand aus dem Staub − nicht ohne vorher die Gemeindekasse zu stehlen. Und schließlich ist da noch die mysteriöse Rachel, die weiße Mäuse züchtet und deren Gehirn viele Dinge »nicht ›checkt‹, weil es falsch verkabelt ist. Dazu gehören Humor, Schönheit, Stimmlagen, Musikalität, Ironie, Sarkasmus und Metaphorik.«
Cocktails und Gelächter − aber was kommt danach? Menschen haben Seelen, und Maschinen haben Geister. Ich − Spieler Eins −, ich bin eigentlich eher ein Geist als eine Seele, aber das wird sich noch zeigen, wenn ich hier bin und wenn klar ist, woher ich komme.
Ein Raum, darin vier Menschen, die mit ihren Spleens, ihren Ängsten und ihren Sehnsüchten bei aller Überzeichnung doch exemplarisch für gewisse Facetten unseres Lebens im Spätkapitalismus stehen. Wer es nicht schon längst geahnt hat: Ja, wir befinden uns in einem Roman von Douglas Coupland. Und der Kanadier, seit seinem Debütroman »Generation X« darauf abonniert, die Befindlichkeiten und Idiosynkrasien seiner Zeit besser als viele andere in griffige und auch unterhaltsame Literatur zu übersetzen, zeigt sich in »Spieler Eins« ganz auf der Höhe seines Könnens − auch und gerade erzählerisch.
Der »Roman in fünf Stunden«, so der Untertitel, gliedert sich entlang dieser Zeitstruktur in fünf Kapitel, wobei die Perspektive innerhalb jedes einzelnen Kapitels jeweils zwischen Karen, Rick, Luke und Rachel wechselt. Am Ende des Romans findet sich zudem eine »Zukunftslegende«, die für den Roman so wichtige Begriffe wie »Geständnis-Überdruss«, »belletristischer Rest« oder die »Theorie vom limitierten Liebespotenzial« erläutert. Und nicht zuletzt ist da noch jener ominöse titelgebende »Spieler Eins«, der sich als eine Art allwissender Erzähler am Ende jeder Stunde zu Wort meldet und einen Ausblick gibt auf das, was da noch kommt.
Und dann wird es sensationelle Nachrichten im Fernsehen geben. Kurz darauf wird Leslie Freemont eintreffen. Man wird ein Foto machen. Wieder etwas später werden Gewehrschüsse fallen. Und dann fließt Blut.
Denn als wären eine verzweifelte Mutter mit ausgeprägtem Partnerwunsch, ein Alkoholiker auf Selbstfindungstrip, ein vom Glauben abgefallener, krimineller Geistlicher und eine autistische Schöne allein nicht genug, erweitert Douglas Coupland sein Kammerspiel um eine wahrhaft apokalyptische Dimension. Plötzlich steigt der Ölpreis ins Unermessliche, daraufhin fallen Strom- und Telefonnetz aus und die lieben Mitmenschen verwandeln sich in rücksichtslose Primaten − gerade so, als wäre der Kitt der Zivilisation nicht Empathie oder Solidarität, sondern ein schwarzer fossiler Treibstoff.
Schon bald muss sich das skurrile Quartett also nicht nur den großen Fragen des Lebens stellen, sondern zu allem Überfluss auch noch um das eigene Überleben kämpfen. Es treten auf: Schüsse, Explosionen und Wolken giftigster Substanzen. Ein religiöser Fanatiker mit einer ganz eigenen Variante des Ödipuskomplexes und ein Junge just aus dem Flugzeug, in dem die Geschichte mit Karen ihren Anfang nahm. Großes Chaos. Großer Spaß. It’s the end of the world as we know it − and I feel fine.
Douglas Coupland: Spieler Eins. Roman in fünf Stunden. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen: Stuttgart 2013.