James Frey (Foto: Terry Richardson)

Nennt ihn, wie Ihr wollt: James Frey hat den Messias, Jesus, den Sohn Gottes zurück auf die Welt geschickt. In seinem Roman »Das letzte Testament der Heiligen Schrift« ist der Schauplatz New York und die Welt eine grausame. An jeder Ecke wird gefixt und gehurt, es wird betrogen, geschlagen, verleumdet und gemordet.
James Frey kennt sich aus in diesem Metier. Mit seiner gefälschten Autobiografie »A million little pieces« hat er vor einigen Jahren nicht nur Amerika genarrt, sondern in der Hauptsache kenntnisreich und pointiert vom Leben außerhalb des Establishments berichtet. Frey erzählt in seinem Debüt von den letzten Zuckungen des Amerikanischen Traumes, von den moralischen Trümmern eines Landes, das um sein Selbstverständnis kämpft. So auch das fesselnde Portrait von Los Angeles, das den Titel »Strahlend schöner Morgen« trägt. Der Autor kombiniert viele eindringliche Geschichten, die in dem gigantischen Moloch an der amerikanischen Westküste spielen.
James Frey ist ein Verführer, der die Wucht seiner Worte gezielt einsetzt, der seine Figuren zappeln und ihnen keine Gnade zuteil kommen lässt.

Er wird wiederkommen. (Apostolisches Glaubensbekenntnis)

Sein jüngster Roman ist für weitere kontroverse Diskussionen geeignet: »Das letzte Testament der Heiligen Schrift« erzählt die Geschichte von Ben Zion Avrohom, der im gegenwärtigen New York aufwächst und so manches Wunder vollbringt. Innerhalb sechzehn Zeugenberichten wird das Leben des charismatischen Heilands beschrieben. Es sind Evangelien, niedergeschrieben von der Stripperin Maria Magdalena, von der Ärztin Alexis, vom Strafverteidiger Peter oder vom Pater Markus.
Sie alle erzählen von der Rettung des Heilands, der ihre Sünden und Bürden auf sich nimmt.
Eine bessere Welt wünschen sich alle der auftretenden Personen und kübeln die Miseren ihres Lebens auf Ben. Lastet das Gewicht auch schwer auf dem Messias: Seine Antwort lautet Liebe. Er schaut den Gepeinigten eindringlich in die Augen, legt seine vernarbte Hand auf ihre Köpfe oder spendet körperliche Anstrengungen: deftigen Sex.
Der Leidensweg von Ben ist ein besonderer: Sein Bruder Jakob missachtet ihn und trachtet Ben nach dem Leben. Eine Sekte vereinnahmt den Heiland und führt ihn in den Dschungel des Tunnelsystems von New York. Die Polizei fahndet nach Ben, während der längst eine Hippie-Kommune in der amerikanischen Provinz aufgezogen hat. Es sind Arrangements der biblischen Leidensgeschichte Jesus, die der Messias im gegenwärtigen New York durchleidet.

Und uns, Brüder, hat er die Verantwortung übertragen, seinen Sohn zu schützen und zu leiten, dieweil er die Botschaft des Evangeliums und das wahre Wort Gottes verkündet, so wie sie in der Bibel geschrieben stehen.

Ben spricht mit Gott – immer dann, wenn er einen epileptischen Anfall erleidet. Er sieht die Zusammenhänge, das große Ganze. Mit Gottes Hilfe kann auf die Menschheitsgeschichte zurückblicken und erkennt in der Bibel nicht das Wort Gottes. Das Rechtssystem, die Staatsmacht nimmt Ben nicht an. Immer wieder erzählt er seinen Jüngern vom Geist der Liebe, von der Macht der Hingabe. Es ist diese grenzenlose, aufopferungsvolle Liebe, die Ben am Ende seines Lebensweges zum Verhängnis wird.
Frey knüpft mit diesem Roman an seine amerikanischen Chroniken an. Er berichtet vom kaputten Leben in den unübersichtlichen Großstädten der verschlissenen Weltmacht: Von oben wird unterdrückt, von unten gekämpft, die Menschen sind gottesfürchtig und doch kriminell. Doch haben sie alle eine gemeinsame Sehnsucht: Sie wollen die Welt durchdringen und Antworten erhalten.
Die Geschichte des niedergekehrten Messias scheint für dieses Vorhaben eine dankbare Basis zu sein. Doch verheddert sich der Roman häufig in larmoyanten Ausschweifungen schwacher Charaktere. Es sind hauptsächlich die harten Geschichten von Maria Magdalena oder dem Junkie Matthäus, die zu überzeugen wissen.
Von dem Glanz und der subtilen Schärfe von »Strahlend schöner Morgen« hat »Das letzte Testament der Heiligen Schrift« nur wenig zu bieten. Zuvorderst geht es in diesem Roman um das Experiment, die Provokation, den Messias in Bordellen und Sekten, im Gefängnis und als Sex-Besessenen abzubilden.

Und er hob mich vom Stuhl hoch, als würde ich nichts wiegen. Und zog mich aus. Und legte mich auf den Tisch. Und leckte und saugte und fickte mich um den Verstand. Direkt neben meinen Drogen.

Die hübsche Idee des Verlags, sämtliche Evangelien von verschiedenen deutschsprachigen Autoren aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen zu lassen, geht dennoch auf: Juli Zeh, Harry Rowohlt, Zoë Jenny oder Steffen Jacobs geben den Erzählungen mit ihren Übersetzungen eine eigenwillige Dynamik. Dem Inhalt können sie damit jedoch nicht auf die Sprünge helfen.

Der Roman „Das letzte Testament der Heiligen Schrift“ von James Frey ist einer der 30 Kandidaten der Hotlist 2012. Jährlich werden von einer unabhängigen Jury die besten Bücher aus unabhängigen Verlagen gekürt. Am 1. September wird das Ergebnis der Publikumswahl und der Juryentscheidung verkündet.

James Frey: »Das letzte Testament der Heiligen Schrift«. Aus dem Amerikanischen von Alexa Henning von Lange, Clemens J. Setz, Tina Uebel, Zoë Jenny, Katja Scholtz, Kristof Magnusson, Charles Lewinsky, Gerd Haffmans, Steffen Jacobs, Klaus Modick, Juli Zeh, Sven Böttcher und Harry Rowohlt. Haffmans & Tolkemitt: Berlin 2012.

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