»Blexbolex-Brikett«, so nennt die Moderatorin des Deutschlandradios im Gespräch mit Rezensentin Sylvia Schwab das Buch mit dem schlichten Titel »Ein Märchen« – der neueste Streich des in Leipzig lebenden französischen Autors und Illustrators Blexbolex. Anlass für diese Bezeichnung liefert das ungewöhnliche Format des 240 Seiten starken und etwa zehn mal zehn Zentimeter kleinen Buches, das wie ein Backstein in der Hand liegt.

Und nein, es beginnt natürlich nicht wie ein klassisches Märchen beginnen würde, die typische Einleitungsphrase à la »Es war einmal…« sucht man hier vergebens. Stattdessen kündigt eine kurze Inhaltsangabe an, was den Leser erwartet:

Diese märchenhafte Geschichte erzählt davon, was einem Kind Tag für Tag nach der Schule auf dem Nachhauseweg begegnet, und wie seine kleine Welt dabei auf einmal riesig groß wird.

Wer jetzt glaubt, es folge eine realistische Schulwegsgeschichte, der sei Blexbolex »auf den Leim gegangen«[1], so Schwab. Die Schule, der (Schul)Weg, das Zuhause – das sind lediglich die Konstanten zwischen denen sich die Fantasie ihren Raum erobert. In jedem der sieben Kapitel wird dieser Raum größer, wird die fantastische Welt von neuen Handlungsträgern dominiert, spielt sich die Handlung an noch nicht bekannten Orten ab. Die Geschichte wird in jedem Kapitel gewissermaßen wieder von vorne erzählt, neben den neuen treten auch bereits dagewesene Handlungsträger und -orte wieder auf. Zum Teil sind es solche, die aus klassischen Märchen bekannt sind, etwa Königinnen und Räuber, Burgen und Schlösser oder Höhlen und Wälder, zum Teil mutet ihnen aber auch etwas Exotisches an, beispielsweise wenn Karawanen und Oasen auftauchen und sich im Hintergrund die Silhouetten von Pyramiden abzeichnen. Und es gibt auch kriegerische Elemente, in Kapitel sechs kündigt ein kurzer Text, der am Anfang jeden Kapitels steht, an, dass es »drunter und drüber« geht, es folgen Bilder von Soldaten, einer Mobilmachung und einem Aufmarsch. Panzer fahren durch die an altmodische Siebdrucke erinnernden, zum Teil grell leuchtenden, aber eben auch düster und bedrohlich wirkenden Bilder, die jedoch tatsächlich am Computer entstehen.

An dieser Stelle zeigt sich die andere Seite[2] des vielschichtigen Künstlers Blexbolex. Wer bisher vor allem die Bilderbücher »Leute« oder »Jahreszeiten« mit Blexbolex assoziiert hat, in deren Bildern zwar
zwischen der auf den ersten Blick heil und hübsch anmutenden Welt auch eine Menge Ironie steckt, ist vielleicht überrascht.

Daher verwundert es kaum und scheint sinnvoll, dass »Ein Märchen« vom Verlag erst für Kinder ab sechs Jahren, eine für Bilderbücher eher untypische Altersempfehlung, empfohlen wird. Das Buch ist in seiner Komplexität und seinem künstlerischen Anspruch eine Herausforderung, übrigens auch für Erwachsene. Es lädt ein zum (Vor- und Zurück-)Blättern, Vergleichen, Überlegen, Rätseln und Staunen.

Blexbolex, Sohn algerischer Einwanderer, wurde 1966 als Bernard Granger in Douai (Nordfrankreich) geboren. Comiczeichner wollte er schon als Kind werden, später studierte er dann an der Kunsthochschule in Angoulême. Seine Hoffnung, der Enge der Provinz hier zu entkommen, erfüllte sich nicht. Zu Beginn der 90er Jahre ging er schließlich nach Paris, wo er sein Geld zunächst als Siebdrucker verdiente und erste eigene Bücher in Kleinstauflagen in der Buchhandlung »Un Regard Moderne« verkaufen konnte. Durch die Zusammenarbeit mit einem ehemaligen Kommilitonen und dessen auf Comic-Kunst und Siebdruck spezialisierten Verlag »Le Dernier Cri« schaffte er seinen künstlerischen Durchbruch, seine Illustrationen wurden jetzt auch in Zeitungen wie »Le Monde« und der »New York Times« abgedruckt. Große Popularität erlangte er mit dem 2008 erschienenen Bilderbuch »Leute« (Originaltitel »L’Imagier des Gens«). Seit 2008 lebt und arbeitet Blexbolex als freier Autor und Illustrator in Deutschland, erst in Berlin, dann in Leipzig.

Blexbolex: Ein Märchen. Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Jacoby & Stuart: Berlin 2013.


[1] Sylvia Schwab: Ritter und Hexen auf dem Schulweg, Deutschlandradio Kultur, Sendung vom 17.12.2013.

[2] Sehr deutlich tritt diese »andere« Seite etwa in der 2012 erschienenen apokalyptischen Graphic Novel »Niemandsland«  auf.

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