Der Bachmann-Preis 2013 ist vorbei, schauen wir vor der Sommerpause doch noch einmal schnell in die Gewinnerin von 2012 hinein. Schon beim Titel hat man die leichte Vorahnung, dass es eher eine abstrakte Angelegenheit wird, und damit liegt man auch nicht falsch. Aber um das Schlüsselbein von Mörike geht es wirklich. Versprochen.

Erzählt wird die Geschichte (oder die Geschichten, das wird bei den verworrenen Erzählsträngen im Grunde bis zum Ende nicht ganz klar) von einigen Menschen in Alltagssituationen, die alltägliches tun, aber nicht alltägliches denken. Da ist Moritz, ein Literaturstudent, der auf der Suche nach dem Schlüsselbein von Eduard Mörike ist, fest davon überzeugt, dass Mörike seinerzeit den Knochen von Hölderlin erhalten hat, das Schlüsselbein als Artefakt der Poesie. Da ist Fjodor, der Autor, der sich langsam zu Tode trinkt, und seine Frau Natascha, die nach seinem Ableben den Boden unter den Boden verliert, und anfängt Bäume mit seinen Kleidern anzuziehen. Und da ist John, bei dem man eigentlich gar nicht so genau sagen kann was er macht, und der irgendwo in der Taiga auf Geheimdienst-Aufträgen unterwegs ist und dort allerhand interessante Geschichten erlebt.

Es sind skurrile Charaktere, keine Frage, manche etwas schrullig, andere so ausgeflippt, dass man Mühe hat ihren Gedankengängen zu folgen. Immer wieder findet sich die Situation, dass eine alltägliche Situation – ein Fahrradfahrer, der überlegt, sich noch ein Eis zu kaufen – ins Absurde geführt wird, in Gedanken über E.T.A. Hoffmann und 42 Gottheiten.

Es ist ein surreales Werk, das uns Olga Martynova hier vorlegt, es wird zwar zusammengehalten und bedeckt von einer konventionellen Erzählstruktur, was es jedoch nicht davon abhält, sich an jeder Ecke schrill lachend zu entblößen. Die Überschriften tragen ebenso kryptische wie poetische Namen wie „Selbst auf den Fifth Avenueen/Wo die Bisons hin und her fegten“, sodass der Leser, jedes Mal, wenn in ihm die kleine, bescheidene Hoffnung wächst, er würde die größeren Zusammenhänge verstehen, direkt vom nächsten Kapitel überfahren werden kann. Der Klappentext lügt nicht, es ist in der Tat „Ein Roman über Familie und Freunde“, es ist aber auch ein Roman über vieles anderes, soviel, dass kein Klappentext dieser Welt es beschreiben könnte.

Auch äußerlich fällt das eine oder andere auf: Manche Kapitel sind in einem grauen Farbton verfasst, anstatt im üblichen Schwarz. Dazwischen finden sich Abbildungen von klopfenden Fußspuren Schreibmaschinen-Typoskripte und einiges mehr, passend zum sprachlichen Level. Die meisten Sätze auf der gedanklichen Ebene sind mit Figuren ausgeschmückt wie ein Christbaum am ersten Weihnachtsfeiertag, die Figuren hingegen unterhalten sich eher karg und etwas hölzern, wie im echten Alltag eben.

Wem das immer noch zu konventionell ist, dem bleibt die zeitliche Ebene anzubieten: nicht nur, dass die Charaktere Rückblenden und interne Analepsen haben und sich somit an vergangene Erlebnisse erinnern, zum Teil springt die ganze Handlung nach vorne oder nach hinten, da man die Differenzen im Alter der Protagonisten nicht kennt, kann man bei manchen Episoden auch gar nicht erst festlegen, in welchem größeren Kontext diese zu verankern seien. So driftet man hin und her, zwischen den Kontinenten und den Epochen, verfolgt die Figuren auf ihren nicht so alltäglichen und fragt sich hin und wieder, was man da gerade liest.

Hat sich Olga Martynova also ihre Lorbeeren verdient? Literarisch ist „Mörikes Schlüsselbein“ in der Tat würdig, es ist neu, es ist interessant und man hat nach vollendeter Lektüre nicht den Eindruck Alltagskost genossen zu haben. Freunden von konventioneller Literatur, oder Menschen die eine Lektüre für die Lesenacht in der Grundschule suchen, sei Vorsicht geboten, da eine Überdosis Abstraktion in seltenen Fällen schwere körperliche Folgen haben könnte. Allen anderen sei das Buch wärmstens ans Herz gelegt. Wir gratulieren Olga Martynova – wenn auch ein Jahr zu spät – zu ihrem Sieg und dem Droschl-Verlag zu seiner Autorin!

Olga Martynova: Mörikes Schlüsselbein. Droschl: Graz/Wien 2013. 

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