Ein Debütroman ist immer etwas Besonderes, oft blitzt hier am meisten das literarische Genie des Autors hervor und zeigt auf, in welche Richtungen es sich entfalten kann.
Doch selbst unter Erstlingswerken sticht Olga Grjasnowas Roman hervor: Schon der Titel besticht durch seine  außergewöhnliche Länge (übrigens ein Zitat aus Anton Tschechows »Die drei Schwestern«), dieses Außergewöhnliche wird auch das ganze Buch über beibehalten, Grjasnowa zeichnet ein schwermütiges Bild des Lebens, sie gibt den Blick frei auf die Themen Freiheit und Tod, Abschied und Vergessen.

Immer wieder liefen zwei Menschen aufeinander zu, umarmten sich, ließen voneinander ab, musterten das Gesicht des anderen, als versuchten sie, die verlorene Zeit wettzumachen.

Der Leser erfährt dies alles durch die Hauptfigur, die junge Aserbaidschanerin Masha, die mit ihren Eltern während des Bürgerkriegs von Baku nach Deutschland kam, aber dort nie richtig angekommen ist.
Masha lebt mit ihrem Freund Elias in Frankfurt und eigentlich führen beide ein schönes Leben, doch dann stirbt Elias – an einer banalen Oberschenkelverletzung, die er sich beim Fußballspielen zugezogen hatte. Subtil wird hier gezeigt, dass der Tod keine großen Gelegenheiten braucht. Der Leser wird dabei genauso fassungslos zurückgelassen, wie die Protagonistin, die als Kind während den Unruhen in Aserbaidschan Tod und Lynchjustiz ins Auge geblickt hatte, aber dennoch mit dem Verlust nicht leben kann.
Durch den Tod wird sie aus ihrem Alltag herausgerissen, hinein in ein Vakuum aus Trauer, mit dem Willen zu vergessen und der Angst, es wirklich zu tun. Hier beginnt die wahre Größe des Romans, Olga Grjasnowa beschreibt das andere Ende unserer Gesellschaft, in dem Masha lebt und das sie mit fremden Augen erlebt. Dabei wirkt sie einerseits so filigran und zerbrechlich, dass man sie am liebsten in den Arm nehmen und ihr sagen würde, dass alles gut ist. Andererseits ist sie stark und selbstsicher wie Samson, würde uns vermutlich wegstoßen und allein davongehen.

Wir verstanden es, einander nicht zu nahe zu kommen, keine unangenehmen Fragen zu stellen oder ehrliche Antworten zu erwarten.

Schauplatz ist eine Welt, die an die Romane von Christian Kracht erinnert – eine Welt voller Belanglosigkeiten, die für den Leser und auch für Masha viel zu klein geworden ist. Immer wieder werden politische Ereignisse erwähnt, doch selbst die blutigen Kriege unserer Zeit spielen sich nur im Hintergrund ab und werden von den Problemen der Hauptfiguren in den Schatten gestellt. Genau wie Krachts Figuren streifen sie rast- und ziellos umher, sind schwermütig und euphorisch zugleich, müde und getrieben. Mashas Reise führt sie von Frankfurt weg bis nach Tel Aviv, wo sie vielleicht finden mag, was sie suchte. Ihre kosmopolitische Haltung, ihre multiethnische Umgebung, all das fügt sich zu dem perfekten Bild, das Olga Grjasnowa von dieser Generation erzeugt: Einer Generation, die keine Grenzen mehr kennt, aber auch keine Heimat mehr hat.

 

Olga Grjasnowa: »Der Russe ist einer, der Birken liebt«. Carl Hanser Verlag: München 2012.

 

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