In »Terror« wird der Luftwaffenmajor Lars Koch angeklagt, 164 Menschen umgebracht zu haben. Er hat ein von einem Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen, das dabei war, in die Münchner Allianz Arena zu stürzen. An jenem Tag fand im ausverkauften Stadion, in dem sich 70.000 Zuschauer befanden, das Länderspiel Deutschland gegen England statt. Koch und ein weiterer Eurofighterpilot sollten das Flugzeug abdrängen und zur Landung zu zwingen. Nachdem dies misslang, sollte ein Warnschuss abgegeben werden. Doch nichts davon zeigte Wirkung. Koch schlug vor, das Flugzeug abzuschießen. Der Verteidigungsminister war dagegen, gab es an Kochs Vorgesetzten, Generalleutnant Radtke weiter, der es an Koch weitergab. »Wenn ich jetzt nicht schieße, werden Zehntausende sterben«, schrie Koch und schoss das Flugzeug ab.
Ferdinand von Schirachs Theaterstück mit dem erschlagend endgültigen Titel »Terror« ist nicht einfach nur ein Theaterstück. Es ist ein Theaterstück zum Mitmachen. Man darf, wenn man ins Theater geht, Richter (bzw. Schöffe) spielen und über den Ausgang des Stücks (Freispruch oder Verurteilung) entscheiden. Justiz mit Gimmick! Als Leser ist man jedoch zur Passivität verdammt und muss sich damit begnügen, beide Urteile hintereinander zu lesen.
»Terror« ist ein Gerichtsdrama, das die Tat des Piloten in den Mittelpunkt stellt. Hat er richtig oder falsch gehandelt? Darf man 164 Menschen opfern, um 70.000 zu retten? Darf man Leben gegen Leben aufwiegen? »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, sagt das Grundgesetz. Aber was sagt das Gewissen? All diese großen und schweren Fragen versucht das Stück zu stemmen. Doch irgendwas ist faul. Es beginnt bei dem interaktiven Taschenspielertrick, der im Grunde keine (dramaturgische) Funktion erfüllt. So enthält sich das Stück einer Meinung, die der Autor doch ganz klar hat: In der in der Buchausgabe des Stücks enthaltenen Rede (die Schirach zu einer Preisverleihung an Charlie Hebdo verfasste) schreibt er: »Es ist albern zu glauben, der Staat sei dem Terror gegenüber schutzlos. Aber jetzt nützen uns weder Kriegsgeschrei noch blindwütige Aktion. Nur die Besonnenheit, nur die Verfassung, nur die Rechtsstaatlichkeit werden uns auf Dauer schützen können. Wenn wir die Regeln verraten, die wir uns selbst gegeben haben, werden wir verlieren.«
Schirach versucht in »Terror« ein Dilemma zu konstruieren, das für ihn eigentlich gar keins ist. Das wird vor allem anhand des Schlussvortrags des Verteidigers deutlich, der zur Verteidigung des Angeklagten den ehemaligen amerikanischen Vize bemüht: »Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Dick Cheney, erklärte wenige Tage nach dem 11. September 2001, es hätte dem Recht entsprochen, die Maschine abschießen zu lassen. Warum? Es ist das kleinere Übel.« Das ist keine überzeugende Argumentation. Aber das sollte sie auch nicht sein. »Terror« handelt davon, dass sich der Staat nicht auf das niedere Niveau des titelgebenden Terrors einlassen darf. »Die Terroristen, meine Damen und Herren«, heißt es weiter in der Rede, »haben fast schon gewonnen. Wir müssen vorsichtig sein.«
Die Zuschauer dürfen Demokratie spielen, aber insgeheim hofft Schirach natürlich auf eine Verurteilung des Kampfpiloten. »Terror« (das Stück) soll warnen, soll uns daran erinnern, unsere Menschlichkeit und Verfassungstreue aufrechtzuerhalten. »Terror« (immer noch das Stück) ist daher bieder, ein erhobener Zeigefinger verkleidet als Drama. »Terror« (ja, ja), vor den Anschlägen auf das Satireblatt Charlie Hebdo geschrieben (wie der Klappentext hervorhebt), ist zwar durchaus prophetisch, aber nur, weil es so unoriginell ist.
Ferdinand von Schirach: Terror. Ein Theaterstück und eine Rede. Piper: München, Berlin, Zürich 2015