Stefan aus dem Siepen (Foto: Bernd Schumacher)
Stefan aus dem Siepen (Foto: Bernd Schumacher)

Ein Bauer findet am Dorfrand das Ende eines Seils. Wo kommt es her? Wo führt es hin? Stefan aus dem Siepen erzählt in seiner düsteren Novelle »Das Seil« von einem Bauerndorf, das in seinen Grundfesten erschüttert wird.
Umgeben von dichten Bäumen, inmitten eines dunklen Waldes, grübelt eine Dorfgemeinschaft über ein Seil, dessen scheinbares Ende der Bauer Bernhardt gefunden hat. Das Seil kommt aus dem Wald und sein Ende ist nicht in Sicht. Die Männer des Dorfes machen sich auf den Weg, um dieses seltsame Geheimnis zu ergründen. Während sich die Frauen um die Ernte kümmern, das Dorf am Leben erhalten, verfallen die Wanderer einer Obsession: Sie werden getrieben von diesem Seil, das sie durch den dichten Wald führt und führt und führt. Diese Männer sind Getriebene, sie verlieren sich während ihrer Reise in Maßlosigkeit und verfallen der Barbarei.

Auf dem Boden lag ein Seil – nichts weiter.

Die Ausgangssituation der Novelle ist eine vielversprechende, schließlich wird der Mensch und sein Instinkt befragt. Ein Rätsel wird ausgelegt, für das es keine Erklärung zu geben scheint.
Stefan aus dem Siepen entwickelt in seiner beklemmenden Parabel einen Psychologismus, der allzu leicht zu durchschauen ist: Wann ist ein Ziel ein Ziel? Welche Kraft darf aufgewendet werden? Wann ist man gescheitert? Das allzu menschliche Streben nach Erkenntnis wird von Stefan aus dem Siepen in die Waagschale geworfen und geprüft.

Die Bauern waren glücklich. Immer wieder schauten sie nach vorn ins dunkelhelle Dickicht, konnten nicht genug bekommen vom Anblick des Seils, das mal deutlich sichtbar in der Sonne schimmerte, mal zwischen den mürben Brauntönen des Laubes verschwand.

Rasant ist diese Erzählung – und auch spannend. Die auftretenden Personen sind geschickt konstruiert, sie ermöglichen der Parabel viele verschiedene Wendungen.
Der Lehrer Rauk etwa, der mit seinen Hunden Thor und Hetzer die Gruppe anführt, entpuppt sich als charismatischer Verführer, der mit rhetorischem Geschick den Willen seiner Gefolgschaft manipuliert. Es treten Narzisse auf, dumpfe Kraftprotze, sensible Schöngeister. Sie alle wirft aus dem Siepen in seiner Erzählung zusammen. So wird »Das Seil« zu einem Schauplatz des Allzumenschlichen. Mit geradezu biblischer Schwere führt der Erzähler von Analogie zu Analogie und entwirft ontologische Fragen, deren Offensichtlichkeit im Laufe der Novelle schon bald aufdringlich wird.

So schlecht ist die Welt nicht eingerichtet, dass eine große redliche Anstrengung, wie wir sie erbringen, ohne ihren gerechten Lohn bleiben kann. Es darf daher nur eine Losung geben: Weiter! Immer weiter! Bis zum Ziel!

Die Auflösung des Rätsels ist logisch und unweigerlich. Bis zu Letzt spannt Stefan aus dem Siepen ein Netz aus Trieb, Intrigen, Gewalt, Niedertracht und Gelüsten. Düster geht es in »Das Seil« zu, unheimlich. Doch ist der Nachgeschmack kein guter. Das Problem ist: Die Moral von der Geschichte.

 

Stefan aus dem Siepen: Das Seil. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2012.

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