Es muss ja nicht immer Literatur sein. Oder?
Während sich der deutsche Buchmarkt innerhalb der letzten Jahre immer mehr in eine Art Selbstfindungskrise stürzt, scheinen bisher nur zwei Resultate als klare Folgen erkenntlich zu werden: Zum einen die Unterscheidung zwischen E(rnster)- und U(nterhaltungs)-Literatur, zum anderen der kometenhafte Aufstieg der sogenannten »Coffee Table Books«. Ersteres sollte mit viel Vorsicht genossen werden und bietet immer wieder Raum (und Bedarf) für hitzige Diskussionen, letzteres hingegen ist weitaus harmloser, erfordert jedoch auf Grund der massenhaften Ausbreitung früher oder später ein Auseinandersetzen mit dem Thema. Wie der Name schon vermuten lässt, kommt die Strömung aus England und Amerika, und auch ansonsten ist das ganze keine Raketenphysik: Ein Coffee Table Book ist ein Buch, das man auf den Wohnzimmertisch legt, um es von Zeit zu Zeit ein wenig durchzublättern, sich an den Darbietungen zu erfreuen und es dann wieder aus der Hand zu legen, beispielsweise, wenn der Gastgeber mit dem Teeservice hereinkommt. Entgegen dieses recht konservativen Szenarios erfreut sich die neueste Welle der Kaffeetisch -Alben jedoch gerade in den jüngeren Generationen enormer Beliebtheit.
Allein anhand der Titel lässt sich feststellen, dass hier kein Sachbuch-Gedanke zu Grunde liegt, sondern Einflüsse der Pop- und Internetkultur: »Images You Should Not Masturbate To« (Penguin 2011), »Stoners Coffee Table Book« (Chronicle 2011) und »52 Things to do while you poo« (Summersdale 2013), letzteres mehr auf Toiletten als in Wohnzimmern zu finden, sind nur einige der Titel, die auf bunten Hardcover- und Paperback-Einbänden prangen. Genau in diese Tradition tritt das vor kurzem bei Knaur erschienene Büchlein namens »Bart aber herzlich«, aus der Feder von Johannes Engelke und Friederike Kohl. Auf den knapp 200 Seiten findet man alles zum Thema Bart, von der Evolution des Menschen bis hin zu Vollbärten zum Ausschneiden. »Ein Muss für den Mann mit Herz und Bart.« verkünden rote Lettern auf der Rückseite des Einbands. Wie es der Zufall will, gehört der Rezensent nun auch seit einigen Wochen zur Zielgruppe, zumindest, was den Bart betrifft. Insofern fällt es leicht, als Teil der Zielgruppe zu fragen: Ist »Bart aber herzlich« wirklich DIE Sekundärliteratur zum Thema Bart?
An dieser Stelle leider ein klares Nein. Was Engelke und Kohl da vollbracht haben, ist ein exzellentes Coffee Table Book, das steht außer Frage, der Informationsgehalt bleibt jedoch schnell hinter der enorm umfangreichen Themenwahl zurück. Das mag zum einen daran liegen, dass man über jedes der angesprochenen Kapitel (Der Bart und die Welt, Bart und Job, B’Art, etc.) ein mehrbändiges Werk verfassen könnte, ohne der Fülle und Varianz der einzelnen Angaben gerecht zu werden. Zum anderen liegt es in der Natur jener Coffee Table Books, komplexere Diskurse abzukürzen und in mundgerechte Häppchen zu portionieren. Der potentielle Leser will gar nicht über alle Zusammenhänge informiert werden, er will sich unterhalten. Dementsprechend sollte auch klar sein, wer hier die eigentliche Zielgruppe ist: Es ist die Hipster- und Youngster-Generation, die (zum Teil) selbst Bärte trägt, das Internet als Informationsquelle preist und immer noch über Chuck-Norris-Witze lachen kann. Die übrigen Bartträger unter den Literaturbegeisterten können »Bart aber herzlich« nur mit einem Mischgefühl in die Hand nehmen, das von kurioser Faszination bis hin zum Unverständnis reicht, umso mehr, weil das Buch nicht müde wird, große Literaten der Vergangenheit als Quellen zu zitieren, in einer Art, die auf den eigenen Gebrauch zu geschneidert ist (So wird aus Friedrich Nietzsches ohnehin aus dem Kontext gerissenen Zitat »Ohne Musik wäre das Leben ein großer Irrtum.« kurzerhand »Ohne Bart wäre das Leben ein großer Irrtum.«).
Auf diese Weise wird »Bart aber herzlich« bei näherer Betrachtung schnell zu einem Konglomerat aus halbwegs recherchierten Fakten, betagten Internet-Witzen und Gemeinplätzen jeder Art (Octopus-Favorit: »Alle Priester großer Weltreligionen tragen Bärte.«). Am sauersten stößt jedoch die fünf Seiten lange Beweihräucherung eines Poetry-Slammers auf, dessen zitiertes Werk zufällig auch bei Knaur erschienen ist. Spätestens hier ist klar, dass dies keine Literatur mehr ist, sondern Marketing. Doch ist „Bart aber herzlich“ deshalb ein schlechtes Buch?
Auch hier ein klares Nein, denn in seiner Funktion als Lektüre für zwischendurch ist es nur schwer zu übertreffen. Dass die Aufmerksamkeitsspanne der jungen Leserschaft zum Teil nur noch zwei Seiten anzudauern scheint, ist zwar bedenklich, aber das ist nicht die Schuld der Coffee Table Books. »Bart aber herzlich« ist ein aufwendig produzierter Vertreter dieser Art und selbst, wenn nicht alles eitel Sonnenschein sein mag, so besitzt das Werk doch eine gehörige Portion einiges gewissen Charmes. Der ist zwar nicht jedermanns Sache, aber das sind Bärte schließlich auch nicht.
Johannes Engelke und Friederike Kohl: Bart aber herzlich. Knaur: München 2014.