Maurice Sendak (Foto: John Dugdale)
Maurice Sendak (Foto: John Dugdale)

Im Mai dieses Jahres verstarb der Illustrator und Kinderbuchautor Maurice Sendak. Sein weltberühmtes Buch »Wo die wilden Kerle wohnen« war die erste Begegnung vieler Menschen mit Literatur. Unsere Autorin Franziska Vorhagen hat einen Nachruf geschrieben.

Als »Wo die wilden Kerle wohnen«, Sendaks bis heute populärstes Bilderbuch, 1963 in Amerika erschien, stieß es auf viel Kritik. Neben dem gegenständlichen Zeichenstil – Sendak zählte Ludwig Richter, Wilhelm Busch und Heinrich Hoffmann zu seinen Vorbilder –, der nicht der zeitgemäßen Ästhetik entsprach, war es vor allem der Inhalt, an dem man Anstoß nahm. Man empfand das Bilderbuch als zu gewalttätig für Kinder, geht es in der Geschichte doch wenig zimperlich zu:

Die wilden Kerle brüllten ihr fürchterliches Brüllen und fletschten ihre fürchterlichen Zähne und rollten ihre fürchterlichen Augen und zeigten ihre fürchterlichen Krallen.

Und dennoch schaffte Sendak mit diesem Bilderbuch seinen Durchbruch, auch international. 1967 erschien die deutsche Übersetzung beim Diogenes Verlag, der das Buch auch heute noch verlegt. Man hatte wohl erkannt, dass das Gewaltsame in Sendaks Geschichten nicht Selbstzweck ist, sondern es vielmehr um die Stärkung der kindlichen Persönlichkeit geht.
Da gibt es zum Beispiel Max, den Protagonisten. Im Traum segelt er dorthin, wo die wilden Kerle wohnen. Mit ihrem kämpferischen Gebaren können sie ihn nicht einschüchtern. Er schaut ihnen einfach so lange in die Augen (ohne dabei zu blinzeln, das ist der Trick!)  bis sie ihn, davon schwer beeindruckt, »den wildesten Kerl von allen« nennen, zu ihrem König ernennen und gemeinsam mit ihm eine gute Zeit verbringen.

Ich glaube nicht daran, dass man Kindern dies sagen darf, jenes aber nicht. Man soll ihnen alles sagen.

Sendak war der unpopulären Meinung, Kindern keine eigens für sie gestaltete, beschönigte Welt zu zeigen, sondern plädierte dafür, Kindern stets die Wahrheit zu sagen, ihnen nichts vorzuenthalten, weil sie früher oder später sowieso mit der Wirklichkeit konfrontiert werden würden. Eine Überzeugung, die sich in der Kinder- und Jugendliteratur erst in den 1970er Jahren auf breiter Ebene durchsetzen sollte.

Seine eigene Kindheit verbrachte der Sohn polnisch-jüdischer Immigranten zusammen mit zwei Geschwistern im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Schon als Kind soll er den Wunsch gehabt haben, Buchillustrator zu werden. Mit zwanzig Jahren fing er im New Yorker Spielzeugladen F.A.O. Schwarz als Schaufensterdekorateur an. Der Bucheinkäufer des Ladens stellte den Kontakt zu Ursula Nordstrom her, die Lektorin beim Verlag Harper & Row war und ihm seine ersten Aufträge verschaffte. Bevor 1956 »Kenny‘s window«,  sein erstes eigenes Kinderbuch, erschien, illustrierte Sendak Bücher anderer Autoren. Er war außerordentlich produktiv, sein Gesamtwerk beläuft sich auf über einhundert Bücher, die von den 1950er Jahren an bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts erschienen und für die er mit zahlreichen Preisen geehrt wurde – unter ihnen der Hans-Christian-Andersen-Preis (1970) und der Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis (2003).

Maurice Sendak, einer der bedeutendsten Kinderbuchautoren und -illustratoren des 20. Jahrhunderts, ist am 8. Mai in Danbury, Conneticut gestorben. Er wurde 83 Jahre alt.