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Schaut man dieser Tage die Nachrichten, dann erreichen einen stündlich neue Meldungen über die Lage in Syrien. Inzwischen nicht mehr auf harmlose Demonstrationen beschränkt, hat sich die Revolution nun zu einem schrecklichen Bürgerkrieg entwickelt, der auf beiden Seiten blutige Opfer fordert. Doch auch wenn sich die westlichen Medien inzwischen große Mühe geben, eine möglichst genaue und objektive Berichterstattung abzugeben, weiß man immer noch sehr wenig über die Entstehungen dieses Konflikts, oder über die Motivationen der einzelnen Kräfte innerhalb der syrischen Revolution. Der französische Schriftsteller Jonathan Littell reiste im Januar 2012  nach Homs und führte über seine fast einen Monat andauernde Reise ein ausführliches Kriegstagebuch. Weiterlesen

Frank Schirrmacher (© Mirko Krizanovic)
Frank Schirrmacher (© Mirko Krizanovic)

Frank Schirrmacher ist tot. Zumindest sein Ruf. So will es jedenfalls Richard Kämmerlings von der »Welt« verstanden wissen, der das Buch »Der Sturm« von Per Johansson gelesen hat.
Ein Journalist, der äußerliche und charakterliche Ähnlichkeiten zum Herausgeber der »FAZ« aufweist, wird in diesem Kriminalroman ermordet.

Der Autor dieses potentiellen Bestsellers ist gänzlich unbekannt und unauffindbar.
Dafür könnte es einen Grund geben: Richard Kämmerlings, derzeit auf Spurensuche im deutschsprachigen Literaturbetrieb, will hinter Per Johansson den leitenden Feuilleton-Redakteur der »Süddeutschen Zeitung« ausgemacht haben: Thomas Steinfeld.

Kämmerlings schichtet in seinem Artikel »Vergeltung – Der grausige Tod eines Großjournalisten« Indizien übereinander und leistet emsige Überzeugungsarbeit.
Für den Leser des Artikels ist klar: Steinfeld macht den Walser und schreibt zehn Jahre nach dessen Schlüsselroman »Tod eines Kritikers« mit »Der Sturm« eine Rache-Attacke gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten Frank Schirrmacher.

Es wird laut werden im deutschsprachigen Literaturbetrieb, denn der nächste Leitartikel von Frank Schirrmacher in der »FAS« kommt bestimmt.

Lässt sich die Verwechslung des einfältigen, aber grundsympathischen Donny in »The Big Lebowski« allein auf den ähnlichen Klang der Namen zurückführen? Oder weist sie nicht auch subtil darauf hin, dass John Lennon allgegenwärtig ist, Wladimir Iljitsch Lenin aber allenfalls noch als historische Person wahrgenommen wird? Man mache die Probe und spaziere mit offenen Augen durch eine x-beliebige Buchhandlung: Lenins umfangreiches Werk, das inklusive der Briefe mehr als fünfzig Bände umfasst, ist verschwunden, aus den Regalen und aus den Köpfen. In einer Zeit, in der Marx mit allerlei Verrenkungen zum Gewährsmann selbstkritischer Liberaler entstellt wird, ist von einem seiner bedeutendsten Nachfolger weit und breit nichts zu sehen respektive zu lesen. Woran liegt das? Und lohnt es sich, dem entgegenzuwirken oder ist Lenins Werk zurecht in Vergessenheit geraten? Weiterlesen

In Max Barrys Roman »Maschinenmann« nimmt der Drang zur permanenten Selbstoptimierung der menschlichen Physis erfrischend rustikale Züge an. Kein Fitnessstudio, um Muskeln aufzubauen und die Kondition zu erhöhen, keine plastische Chirurgie, um die Haut zu straffen und die perfekte Silhouette herzustellen. Der Körper ist kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems. Das wird Charlie Neumann bewusst, als das wenig spektakuläre Leben des scheuen Ingenieurs plötzlich durch einen Unfall aus den Fugen gerät. Eine hydraulische Zwinge hat Charlies Bein vom Oberschenkel abwärts in einen Haufen Matsch und Blut verwandelt, und die Prothese ersetzt das fehlende Glied nur äußerst unzureichend. Beim Versuch, die künstliche Bein zu verbessern, muss Charlie schnell erkennen, dass die mimetische Nachbildung der Natur in eine Sackgasse führt. Weiterlesen

Räuber Hotzenplotz (Illustration: Franz Josef Tripp)
Räuber Hotzenplotz (Illustration: Franz Josef Tripp)

Mit diesem Satz poltert der Räuber, der seinen Namen mit einer kleinen Stadt in Mährisch-Schlesien teilt*, unvermittelt in die Geschichte und fordert die Herausgabe von Großmutters neuer Kaffeemühle. Um wen es geht?

Um den Räuber Hotzenplotz natürlich! Und die Kaffeemühle, die könnte er heute gut gebrauchen, denn er hat Geburtstag. Vor genau 50 Jahren, am 1. August 1962, erschien der erste Band von Otfried Preußlers Trilogie um den „Mann mit den sieben Messern“, mittlerweile ein Klassiker der Kinderliteratur.

Angriffe der Kritiker, die zu Beginn der 1970er Jahren gegen Hotzenplotz und seinen Schöpfer wetterten, haben beide glücklicherweise unbeschadet überstanden. Im Herbst, pünktlich zum Jubiläum, erscheint beim Thienemann-Verlag eine neue Auflage für die Mathias Weber die schwarz-weiß Illustrationen von Franz Josef Tripp gekonnt koloriert hat. Wir gratulieren dem Räuber zu seinem 50sten und wünschen ihm, dass er noch vielen Generationen Lesevergnügen bereitet.

* Seit 1945 heißt die Stadt „Osoblaha“ und gehört zu Tschechien.

»Das Gespenst des Kapitals« – der Titel von Joseph Vogls 2010 erschienenem Essay, der  gleichermaßen an Marx‘ Opus Magnum wie an Derridas »Spectre de Marx« erinnert, gibt die Richtung vor. Hier betreibt jemand die Fortführung einer Kritik der politischen Ökonomie mit poststrukturalistischem Begriffs- und Analyserepertoire. Und wie! Unerbittlich und doch präzise seziert Vogl die liberal-kapitalistische »Oikozidee«, wonach »der Markt« die Dinge früher oder später schon regeln wird. Bisweilen kann man ob der Belesenheit des Autors dabei beinahe vergessen, dass der Literaturwissenschaftler Vogl gar nicht vom Fach ist. Für den in ökonomischer Theorie weitgehend unbewanderten Leser gestaltet sich die Lektüre nicht unbedingt einfach, aber die Mühe lohnt. Muss man alles en détail verstehen, was Vogl herbeizitiert? Nein. Muss man »Das Gespenst des Kapitals« trotzdem lesen? Unbedingt.

Aus der Klassikerkiste: Bertolt Brechts »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«. Zwar immer noch und im Zuge der Finanzkrise sogar wieder vermehrt auf deutschsprachigen Bühnen gespielt, zuletzt unter anderem am Wiener Burgtheater, in Darmstadt und in Weimar, ist »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« wohl nicht das bekannteste Stück Brechts, sicher aber eines der radikalsten. Ein Abgesang auf den Idealismus und die auch heute weit verbreitete Manier, Politik durch Moral zu ersetzten. Zu spät merkt Johanna, die namensgebende Protagonisten des Stücks, dass Appelle an Großzügigkeit und Humanität zu keinem Ausweg führen: »Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht […]«. Merke: Wenn man nach der Lektüre die anhaltende Lust verspürt, das System zu stürzen, war das Lesen nicht vergebens.

Antje Damm (Foto: Leonie Damm)

Eine Kugel aus Grashalmen, gerade so groß, dass sie gut in eine kleine Hand passt, steht am Anfang und am Ende von Antje Damms Geschichte »Kiki«, die morgen beim Hanser Verlag erscheint. Die Kugel war das letzte Geschenk, das Antje, die Protagonistin, von ihrer Freundin Kiki bekommen hat, denn Kiki ist tot. Der Tod von Kiki steht allerdings nicht im Fokus der Handlung, es geht der Autorin vielmehr darum von der Freundschaft der beiden Mädchen zu erzählen, von dem, was sie in ihrer gemeinsamen Zeit erleben.

Die inzwischen gelb gewordenen und vertrockneten Grashalme zu Beginn der Geschichte verdeutlichen den zeitlichen Abstand, der zwischen Rahmen- und Binnenerzählung liegt. Antje, die mittlerweile erwachsen gewordene Ich-Erzählerin, kennt die Überraschung, die ihre Freundin darin für sie versteckt hat, immer noch nicht:

Ich weiß nicht, was es ist, denn dafür hätte ich die Kugel kaputtmachen müssen und das wollte ich nicht. Aber ihre Geschichte, die kann ich euch erzählen.

Und das tut sie dann auch. Sie erzählt den Lesern die Geschichte jener Kugel, die Geschichte von ihrer Freundschaft zu Kiki: Antje und Kiki, die eigentlich Kirsten heißt, lernen sich im Herbst, kurz nachdem Antje mit ihren Eltern und den zwei kleinen Brüdern aufs Land gezogen ist, kennen. Die Freundschaft ihrer Mütter bringt die beiden Mädchen zusammen und sie entdecken schnell ihre Sympathie füreinander. Es folgt ein Jahr voller gemeinsamer Erlebnisse und Abenteuer. Kiki ist die abenteuerlustigere von beiden, sie ist unbekümmerter, sorgloser und bringt die etwas vorsichtigere Antje manchmal dazu, an ihre Grenzen gehen und sie zu überschreiten – etwa dann, wenn sie Kiki dazu animiert, etwas im Mohr, dem kleinen Lebensmittelgeschäft ein paar Straßen weiter, zu klauen:

Als wir um die Ecke gebogen waren, schwenkte ich die Möhren vor ihrer Nase rum und rief: „Ich hab mich getraut!“ Kiki sagte: „Na ja, Möhren hätte ich ja nicht gerade geklaut.

Ihre gemeinsame Geschichte endet an einem grauen Novembertag, an dem Kiki einen tödlichen Verkehrsunfall hat. Obwohl, tut sie das wirklich? Eigentlich nicht, denn die Erinnerung an Kiki bleibt. Sie ist selbst bei der erwachsenen Antje noch so lebendig, dass sie ihre Leser auf eine authentische Reise in ihre Kindheit mitnehmen kann. Antje Damm ist es gelungen, glaubwürdig und liebevoll von der Freundschaft zwischen zwei Kindern zu erzählen, einer Freundschaft, die schön und traurig zugleich ist, weil sie viel zu schnell vorbei ist.

Und was in dem Strohkügelchen drinsteckt, das Kiki für ihre Freundin gebastelt hat, bleibt auch am Ende offen:

Vielleicht ist gerade die Vorfreude, noch etwas von Kiki zu bekommen, so schön, dass ich es nie öffnen werde.

Antje Damm: Kiki. Carl Hanser Verlag: München 2012. Zum Vorlesen und ersten Selberlesen.

Noch mal »Suhrkamp«, noch mal Berlin. Vielleicht liegt es am unheilvollen Einfluss dieser Stadt, in der nichts fertig zu werden scheint, keine Flughäfen und jetzt auch keine Bücher? Jedenfalls wurde die Veröffentlichung des Sammelbands »Demokratie?« (genau, mit Fragezeichen dahinter) immer wieder verschoben, jetzt wird der 13. August angepeilt. Wollen wir hoffen, dass es dabei bleibt, denn wenn die klügsten und interessantesten Köpfe der kritischen Gegenwartsphilosophie sich zum Thema Demokratie auslassen, ist wohl mehr zu erwarten als die immer gleichen hohlen Phrasen und liberales Sonntagsgeschwätz. Agamben, Badiou, Rancière, Žižek – Demokratie!

Mehr noch als der beispiellose Zuspruch an sich ist bemerkenswert, dass David Graebers »Schulden. Die ersten 5000 Jahre« diesen quer durch das politische Spektrum erfährt, von der konservativen »FAZ» bis zur linken »Konkret«. Spricht der in den Augen vieler unlängst zum Kapitalismuskritiker geläuterte »FAZ«-Herausgeber Frank Schirrmacher schlicht von einer »Befreiung«, so wundert sich der »Konkret«-Rezensent Matthias Becker in der Juli-Ausgabe des Magazins, dass »Schulden« trotz der Lobeshymnen von »FAZ«, »Spiegel« und Co. »ein großartiges Buch« geworden sei. Dabei lässt der große Erfolg bei Kritikern wie Lesern (aktuell Platz 6. der »Spiegel«-Bestsellerliste Sachbuch) vermuten, dass »Schulden« so etwas wie das Buch zur Krise ist – der lang ersehnte Versuch, die unglaublichen Vorgänge in Europa und weltweit zu begreifen. Doch dieser Eindruck täuscht zumindest teilweise: Obwohl »Schulden« durchaus versucht, den Bogen zu aktuellen Entwicklungen zu spannen, taucht die Schuldenproblematik der Gegenwart nur am Rande auf, nämlich im ersten und letzten Kapitel. Das ist nur zu begrüßen, immerhin zirkulieren Deutungen der Krise allenthalben und doch mangelt es meist am historischen Weitblick, um die derzeitigen ökonomischen Verwerfungen verstehbar und somit auch jenseits einfacher moralischer Schuldzuweisungen kritisierbar zu machen. Stattdessen dominieren Einschätzungen, die sich meist der hergebrachten wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze bedienen und folglich jene Ideologie reproduzieren, die zur gegenwärtigen Misere wesentlich beigetragen hat. Kein Wunder, dass das schließlich zu solch absurden Forderungen wie der nach einem »neuen Kapitalismus« führt, aber dazu hat die »Titanic« ja bereits alles notwendige gesagt – »Jedes System hat halt die Logiker, die es verdient«. Weiterlesen

»DON‘T CRY – WAIT!« Rainald Goetz »Johann Holtrop« wird nun doch erst im Spätsommer erscheinen und damit pünktlich zur Frankfurter Buchmesse. Ursprünglich war eine Veröffentlichung des Romans im Juli vorgesehen, jetzt gibt Suhrkamp den 10. September als geplantes Erscheinungsdatum an. Die offizielle Buchpräsentation wird am 26. September in Berlin stattfinden. »Johann Holtrop« wird die Werkreihe »Schlucht« komplettieren, zu der die bereits erschienenen Bände »Klage«, »Loslabern« und »Elfter September 2010« gehören. Der Roman »erzählt die Geschichte eines Chefs aus Deutschland in den Nullerjahren«.

Olga Martynowa (Foto: Danjel Jurjew)
Olga Martynowa (Foto: Danjel Jurjew)

Wir gratulieren Olga Martynowa zum Gewinn des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Die in Frankfurt lebende russische Schriftstellerin überzeugte die wortgewaltige Jury mit ihrem Text »Ich werde sagen: „Hi!“«.

Die Erzählung beschreibt eine Kindheit, »die endet, als eine kreative Rationalität beginnt: Ein junger Mann entdeckt, wie sich das erzählen lässt – und weil Olga Martynova eine große Schriftstellerin ist, entdeckt sie das in ihrem Text mit ihm«, so Juror Paul Jandl in seiner Laudatio.

»Ich werde sagen: „Hi!“« kann man hier nachlesen.

 

Unser Favorit Andreas Stichmann ging leider leer aus. Wir sind uns aber sicher: Sein Roman »Das große Leuchten« (7. September bei Rowohlt) wird für Furore sorgen.