Viele Stimmen, keine Zeit. Unser kollektiver Rückblick auf die größte Bücherschau der Welt.

Die Vorzeichen standen schlecht, am Mittwochmorgen, als wir die S-Bahn verließen, um unsere Buchmesse-Tickets zu zücken: Eine Armada hektischer Trolli-Roller rollte mit Anzügen und Gelfrisur auf die schmalen Rolltreppen zu und setzte die Rolltreppenlogistik am S-Bahnhof der Messe sogleich außer Kraft. Das anreisende Fachpublikum nahm es nicht mit Humor und pöbelte auf Fußballstadionniveau vor den heiligen Messehallen herum.

Noch kein Schritt war getan, da war die Stimmung der belesenen Bücherfreunde am Siedepunkt. Wir blieben gelassen, schlürften unseren Kaffee-To-Go und nahmen die Treppe. Die Runde war klar: Beim Hanser-Stand verabschiedeten wir uns von Verleger-Held Michael Krüger, riefen ihm „Danke für alles!“ zu und schnappten uns ein Weißweinglas – ohne Wasser. Schwerer Fehler. Schon am ersten Abend dröhnte der Kopf, doch lag das vielleicht an der schwachbrüstigen Aufbauliteratur, am Esoterik-Gewäsch und den vielen Suppenköchen die in den engen Gängen brodelten.

Schutz bot da nur das Versteck am herrlichen liebeskind-Verlag. Wie jedes Jahr. Dort beobachteten wir: Der informierte Buchmessebesucher von heute trägt gelbe Langenscheidt-Tragetasche und schleppt Kataloge durch die Gänge. Damit wollten wir nichts zu tun haben und suchten Clemens Meyer. Notwendig war das natürlich nicht: Schließlich las der Hallenser an jeder Ecke aus seinem neuen Buch vor. Uns gefiel das, der Buchpreisjury auch. Wenn auch nicht ganz so gut wie das Road-Movie-Tagebuch-Noir-Selbstfindungs-Werk von Terézia Mora, der man ebenso an jeder Ecke über den Weg lief. War uns lieber, als der kurze Rempler von Boris Becker, dem Leibhaftigen.

Brasilien: Ganz entspannt.

Im Brasilien-Pavillon erwartete uns ein Traum in Pappe. Verstörend angenehmer Nebeneffekt: Wer sich auf einen der Pappe-Hocker setzte, bekam dank der exzellenten Isolationseigenschaft des Materials sogleich einen warmen Allerwertesten. Und Hängematten gab es, die zwar einladend aussahen, aber durchgängig belegt waren. Das Alternativprogramm, Fahrradfahren um Fernsehen zu dürfen, sagte uns da weniger zu. Also wieder hinaus an die frische Luft, in der sich ab Samstag einmal mehr die Cosplayer zeigten. Die Wahl des eigenen Kostüms führte bei den niedrigen Temperaturen beim ein oder anderen zu mehr sichtbarer Gänsehaut, als dem Messebesucher lieb war, aber immerhin mussten die Kostümierten in diesem Jahr zahlen, um ihre Convention im Rahmen der Buchmesse abhalten zu dürfen.

Nachdem sich das Programm der großen Verlagshäuser als fein, wenn auch teilweise etwas dürftig erwiesen hatte (bei Dumont erscheint demnächst eine Graphic Novel mit dem Titel »Hipster Hitler“) musste natürlich auch der kleine Verleger gewürdigt werden. Lobenswert ist, dass viele der kleineren Independents inzwischen zusammenschließen, um einen größeren Stand zu mieten, oder – man betrachte den fränkischen Verlag Ars Vivendi – sie expandieren einfach von sich aus. Das ist lobenswert und hat außerdem den angenehmen Effekt, dass es weniger Schuhschachtel-Stände gibt, in welchen es schon Platzprobleme gibt, wenn ein Kind mit einem Eis davorsteht.

Weiße Weste.

Dagegen etwas unschön: die steigende Anzahl der Selbst- und Zuzahlverlage. In manchen Gängen reiht sich ein Bauernfänger an den Nächsten, sie tragen lyrisch anmutende Namen wie »R.G. Fischer Verlag« (Nicht zu verwechseln mit dem S. Fischer-Verlag) oder »August von Goethe-Verlag« (Hat weder etwas mit dem realen August von Goethe noch etwas mit dem Goethe-Verlag zu tun). Ihr Programm ist simpel, möglichst viele Autoren mit dem Versprechen ködern, sie würden jedes Manuskript annehmen, sofern es literarisch ins Programm passt (und das tut es immer) und der Autor könnte – nach einer kleinen Zuzahlung zu den Druckkosten – einen Großteil des Gewinns selbst behalten.

Das Ergebnis lässt sich in zwei Aspekte zusammenfassen: Der erste wird deutlich, wenn man nichtsahnend am Stand der »Frankfurter Verlagsgruppe AG« steht (keine Verbindung zur, ach Sie wissen schon…) und der Lesung eines Autors lauscht, der sich »Willy W. Wolltähr« nennt und ein Buch geschrieben hat, das »Die Mobbinghexe schiebt ab« heißt. Eine der Figuren trägt den Namen »Herr Arsch« und mehr muss man an dieser Stelle auch nicht mehr dazu sagen.

Verlaufen.

Die andere Thematik ist im Grunde eine tragische, den meisten Autoren entgeht, welchen schwerwiegenden Schritt sie tun, wenn sie sich bei einem Zuzahlverlag publizieren lassen. Natürlich, man zahlt nur einen Teil der Druckkosten und der Verlag verlangt keinen weiteren Anteil, doch damit fallen auch alle Dienstleistungen weg, die ein Verlag leistet, damit sich ein Buch verkauft. Willy W. Wolltähr wird nie den Weg in eine Buchhandlung finden, weil es keinen Vertreter gibt, der sein Buch vorstellt, keinen Vertrieb, der es innerhalb von zwei Tagen an jeden Punkt in Deutschland liefert, keine Presseabteilung, die Zeitungen und Blogs wie das »octopus-magazin« über die Neuerscheinung informiert.

Dazu kommt, dass ernsthafte Verlage um Autoren, die bei einem Selbst- oder Zuzahlverlag waren, einen großen Bogen machen. Somit sind diese Verlage mit den noblen Namen und dem sonderbaren Programm quasi der Elefantenfriedhof der Literatur, auf dem man seine Karriere als Autor einfach zur Ruhe betten und dann einschlafen lassen kann.

Was bleibt, das ist der schale Geschmack im Mund, den wir jedes Jahr am Samstagabend abspülen. Wie eine Sucht. Im nächsten Jahr geht’s weiter.

 

Texte: Redaktion. Fotos: Nadja Austel, Franziska Vorhagen.

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